Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen
unseren Ansprüchen genügen.«
Aufgrund einer dichten Schneedecke verwandelte sich der Weidenhof ein paar Wochen später ohnehin schlagartig von der Lehmwüste in ein Kalenderblattmotiv. Ein Anblick, der inneren Frieden stiftete. Wenn Ihr Euch die weißen Flächen jetzt noch als Grün vorstellt, dann habt Ihr’s. So in etwa kann und wird es hier im nächsten Frühjahr aussehen. Das war Ollis Kommentar zu einem Foto, das er nach einem, Zitat: Romantikwochenende im Winterwonderland Maltrin herumschickte. In der Woche zuvor hatte er diskret angefragt, ob er das Haus auch mal ein Wochenende über für sich alleine haben könnte, genauer gesagt für sich und Jana, die neue Frau an seiner Seite, was man ihm umgehend zugestand. Jana hatte er auf der Einweihungsparty kennengelernt und sie bei Vollmond und Grillenzirpen am Steg mit Visionen vom Landkommunenleben weichgekocht. Habe sie auch fast schon so weit, dass sie einsteigt, schrieb er nun. Als Oberamtsrat, der die Höhe von Agrarsubventionen zu berechnen hatte, blieb Olli auch im realen Landleben und selbst bei hohem Hormonspiegel mit einer Gehirnhälfte stets ein praktisch denkender Mensch.
Ein oder zwei neue Mitglieder zu rekrutieren, das war ein Thema geworden, nachdem Fabian aufgrund der »Gräben von Verdun« und der darin versenkten Euros noch einmal die Gesamtrechnung aufgemacht hatte. Plötzlich packte ihn im Büro die Sorge, der Umbau der Scheune könnte auf der Strecke bleiben. Er rechnete nach, stieß auf eine reale Finanzierungslücke von rund zehntausend EUR und setzte unverzüglich eine E-Mail ab: Maltrin sucht den Supermieter. Wir brauchen mindestens einen, am besten zwei neue Mitglieder, wenn das mit der Scheune nicht tatsächlich erst für unseren gemeinsamen Ruhestand realisiert werden soll – gleich mit Treppenlifter. Die Neuen könnten zur Probe ja erst mal für ein Jahr mieten. Gibt es Vorschläge? Als ihm die Antworten zu lange auf sich warten ließen, verpflichtete er im Handstreich seinen Kompagnon Steve, der ihm praktischerweise am Schreibtisch gegenübersaß. Steve hatte offenbar schon länger auf Fabians Frage gewartet und sagte rundheraus zu: »Klar bin ich dabei!«
Steve gehörte bereits zur Urzelle unseres Landhauskollektivs, der Wohnzimmerbar Müßiggang e. V. Das Müßiggang war einer jener typischen Hinterhofklubs, die Mitte der Neunzigerjahre im grauen Häusermeer Ostberlins wöchentlich irgendwo semilegal eröffnet wurden und die mit ihrem Siebzigerjahre-Sperrmüllinterieur allesamt daherkamen, als wären sie nur Teil eines Franchisesystems, das Nonkonformität verordnet. In der bürgerlich-antibürgerlichen Salonatmosphäre des Müßiggangs gab es nicht nur Lesungen und Kunstdarbietungen, es wurden auch fortwährend irgendwelche Ideen geboren und kurz darauf wieder begraben. Die meisten der hier bei schummrigem Licht angedachten Projekte waren außerhalb des Non-Profit-Biotops Müßiggang schlechterdings nicht überlebensfähig. Wie ganz Berlin Mitte und Prenzlauer Berg zu jener Zeit, ereignete sich auch im Müßiggang ein einziger großer Projektgenozid. Dort, wo viele der Besucher so problemfixiert waren wie die Autorenfilme, an denen man sich im Hinterzimmer delektierte, war als eine der wenigen tatsächlich überlebensfähigen Ideen nicht nur die von der Flucht aufs Land entstanden. Auch Steve und Fabian hatten hier einen Plan gefasst, den sie ernst meinten. Zwar lag es den beiden zunächst fern, sich als Unternehmer zu bezeichnen – vielmehr betrachteten sie sich wie auch das Gros der Müßigganggänger als Künstler und hatten den Namen der Bar mehr als verinnerlicht. Aber Fabian kam auf den Trichter, dass die am wenigsten unverkäuflichen Objekte aus den Ateliers der Müßigganggänger zumindest als Leihkunst zum Spartarif ganz gut an den Mann zu bringen sein müssten. Und dass man sich dann vielleicht auch mal eine Wohnung mit Zentralheizung leisten könnte.
Die Kunstvermietung »Kunst to go« wuchs geschwind zu einem zehnköpfigen Unternehmen an, und die Gemälde, Neonlicht- und Videoinstallationen, die Steve und Fabian bald im Akkord anfertigen ließen, hingen deutschlandweit in Wartezimmern, Hotellobbys und Unternehmenszentralen – überall dort, wo man sich aufgrund des neuen Berlinhypes gerne mit einer Portion Hauptstadtkunstgedöns schmückte.
»Jetzt wird Deutschland von Fabian und Steve durchgeloungt«, versuchte sich Olli mit bewährtem Humor an der Definition des Geschäftsmodells. Der Müßiggang aber hatte
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