Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen
Bürgerrechtlerbart wachsen lassen und in Clogs erscheinen? Plenum, dieses Wort klang nach Landhauskommune der tiefsten Siebzigerjahre. Es klang nach Sozialpädagogen in Batikhemden, die nach lambruscotrunkenen Debatten zum Thema Abwaschpläne im Morgengrauen beim wechselseitigen Faschismusvorwurf ankamen. Aber es half nichts, aus Gruppenräson beugte ich mich dem Schwedenfrieden. Ylva hat recht, schrieb Niels. Wir müssen uns immer klarmachen, dass unser Landhausprojekt ein Versuch gegen die Gesetze der menschlichen Schwerkraft ist. So ganz ohne feste Formen des Austauschs und der Konsensfindung geht es wohl nicht, wenn man mit so einer Gang von Individualisten etwas Gemeinsames aufbauen will.
Wohl oder übel, wir hielten ein Plenum ab.
Keine Frage, wenn man Ylva so in ihrer Rolle als Plenumsmoderatorin und Mediatorin erlebte, dann musste man schon sagen, sie war unser Sturmgeschütz der Konsensfindung. Mit ruhiger Hand führte sie die Landhausbande, die bislang zwischen Chaoskultur und autoritärem Direktivismus, mit anderen Worten zwischen Villa Kunterbunt und Preußen, ihren Weg noch nicht so recht gefunden hatte, auf den Pfad einer verständigungsorientierten Diskussionskultur solider schwedischer Bauart. Ein Plenum abzuhalten tat auch gar nicht so weh.
Wir saßen bei Grillengezirpe auf der neuen Terrasse. Die Sonne war schon vor einer Weile untergegangen, aber da es die Zeit der Sommersonnenwende war, blieb am Horizont über den Hügeln jenseits des Sees immer ein Schimmer von Tageslicht sichtbar. Im Geäst des Kirschpflaumenbaums, der durch den Boden unserer Terrasse wuchs, leuchteten Lichterketten. Die Mittsommeratmosphäre bildete einen merkwürdigen Kontrast zu unserer Konferenzsituation. Andererseits aber auch wieder nicht. Unser Plenum unter Ylvas Leitung war nicht die schlechteste Art, um das traditionelle schwedische Midsommar zu begehen. Ein bisschen weh taten nur die ständigen Moskitoattacken, die wir mit allen möglichen Sprays und Lotionen abzuwehren versuchten. Anders als bei den bisherigen, spontanen Vollversammlungen, die es allenthalben gegeben hatte, wurde es nun nicht mehr geduldet, einem Diskussionsteilnehmer ins Wort zu fallen.
»In Schweden gibt es so was nicht, da lassen wir uns gegenseitig ausreden«, sagte Ylva und führte Liste, wer als Nächstes das Wort erteilt bekam.
Immerhin mendelten wir auf diese Weise kühlen Kopfes die Ursache für unsere wiederkehrenden Probleme heraus. »Weniger Demokratie wagen« hatte so gut geklungen: grundlegende Entscheidungen mit allen treffen, aber die konkrete Ausführung und Umsetzung dann den drei bis vier Zuständigen überlassen. Immer und überall den basisdemokratischen Konsens herstellen zu wollen hatte in der Tat den Geschmack von Vergeblichkeit. So weit die Theorie hinter der Parole. Die Realität hatte sich als etwas komplizierter herausgestellt. Denn sie warf eine entscheidende Frage auf: Was gehörte noch zur grundlegenden Entscheidung und was zur konkreten Umsetzung? War die grundsätzliche Entscheidung, dass das Haus gestrichen werden soll, und der Rest gehörte schon zur Ausführung? So hatte das die Gruppe »Hausanstrich« verstanden. Oder gehörte es noch mit zu den grundsätzlichen Entscheidungen, in welcher Farbe gestrichen werden soll und mit welcher preislichen Obergrenze? So hatte Andine das verstanden. Zumindest im Nachhinein. Und dann wollte sie noch eine letzte Anmerkung zum Farbenstreit machen, nur fürs Protokoll, wie sie sagte.
»Die angebliche E-Mail von Jana mit der Taubenlila-Beschreibung hab ich nie bekommen.« Andine drückte eine Mücke auf ihrem Arm platt. »Aber hätte ja auch nicht viel genutzt, es ist dann ja sowieso eine ganz andere Farbe geworden.«
Ylva ergriff wieder das Wort: »Also ich halte fest: E-Mail-Verteiler immer vor dem Abschicken auf Vollständigkeit überprüfen. Und ab jetzt zweimal im Jahr Plenum. Und vor der endgültigen Ausführung der Projekte müssten die jeweiligen Gruppenleiter dann wohl doch mal mit den Gruppenmitgliedern Rücksprache halten.«
»Müsste, könnte – da sind wir ja mal wieder knietief im Konjunktiv«, flüsterte ich meinem Tischnachbarn Konrad zu.
»Die pure Überregulierung, geht aber wohl nicht anders«, raunte er.
Mette sprang vom Tisch auf und griff sich ein Badetuch, das über der Brüstung der Terrasse hing: »So, wer kommt mit zum Nachtbaden?«
Niels, Steve und Ylva rannten ihr hinterher. Sie kletterten die kleine Leiter von der Terrasse hinunter in den
Weitere Kostenlose Bücher