Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen
Wolfgang Schröder im Dorf die Nachricht, dass die »Studios ihr Haus uff Brombeer jestrichn« haben. Dass Wolle im allgemeinen Dorfgeflüster den Kosenamen »Studios« für uns verwendete, hatte Konrad von Jürgen, dem Anführer der Blaumanngroup, nebenbei erfahren. Das war nur so zu erklären, dass Wolle unsere Lebensform in der Landhauskommune, die der seinen im »Tabbert« so unähnlich war, offenbar als Inbegriff vom Studentenleben vorkam. Die Tatsache, dass von uns längst keiner mehr studierte und wir Wolle nicht erst einmal Andeutungen über unsere Jobs im richtigen Leben gemacht hatten, brachte seine Version der Realität keineswegs ins Wanken. Solche Versuche waren aussichtslos. Für Wolle würden wir vermutlich auch noch in zwanzig Jahren und mit grauen Haaren »Studios« sein. Eines musste man Wolle dabei zugutehalten: Für ihn als alten Westberliner galt wohl noch das sattsam bekannte Klischee des Leistungsverweigerungs- und Aussteigerstudenten, der über Jahre das Bild der Hochschullandschaft in der Frontstadt prägte: Figuren, weit über dem dreißigsten Lebensjahr und Semester, die ihr Bafög in Drumtabak und Becksbier versenkten und dann leicht ergraut den Weg ins Immatrikulationsbüro nicht mehr wiederfanden.
Als Schröder einmal in den Weidenhof kam und Konrad am Küchentisch zwischen seinen Dissertationsunterlagen antraf, fragte er ihn: »Na Konrad, biste wieda fürde Uni mitte Bücha zu kämpfen?« Gleichviel, Wolle hatte sich ein stimmiges Bild von uns als »den Studios« zusammengereimt, und entsprechend ausgeprägt war nun sein Mitteilungsbedürfnis, nachdem wir Paradiesvogelstudenten den Weidenhof klischeegetreu bunt angepinselt hatten. Infolgedessen entwickelte sich unser farbenprächtiges Domizil zur touristischen Pilgerstätte der übrigen Dorfbewohner.
Auch hinter den brombeerfarbenen Mauern herrschte Betriebsamkeit. Es begann eine Phase, in der sich ein Set von typischen Weidenhof-Lebenstechniken herausschälte und etablierte. Nach den Gräben von Verdun gab es mit der Brombeergate-Affäre nun die zweite Großkontroverse, in der man sich mittelfristig große Hoffnungen auf eine botanische Lösung machte, diesmal mit Efeu und anderen Klettergewächsen. Zu diesem Set von Problembewältigungstechniken gehörte überdies die leicht theatralische Aussöhnung, die gewöhnlich mit der Feststellung begann, dass E-Mail nun mal ein Medium sei, das Konflikte eher verstärkte. Nur kam Brombeergate in dieser Hinsicht sogar eine Sonderstellung zu, weil der Disput um die Hausfarbe ja schon vor Ort seinen Lauf genommen und erst danach die bekannte virtuelle Eskalationsdynamik durchlaufen hatte. Öfter noch erlebten wir, dass Streitigkeiten überhaupt erst im virtuellen Raum ausbrachen. Aus der sicheren Deckung hinterm Monitor ließen sich die lieben Miteigentümer eben besonders relaxt anschnauzen und zurechtweisen, ohne dass man sich von Angesicht zu Angesicht mit ihnen auseinandersetzen musste.
Jeder von uns machte von dieser Kommunikationswaffe dann und wann Gebrauch, und das, obwohl man selbst nur zu gut wusste, dass es eigentlich das Letzte war, was man während der Arbeit gebrauchen konnte: eine E-Mail, in der sich mal wieder Scheunenbalken bogen und man angeraunzt wurde, weil sich jetzt auch mal andere darum kümmern sollen. Doch die in größeren Gruppen unvermeidbaren Spannungen entluden sich nun einmal auf elektronischem Wege. Und diese E-Mails, die bisweilen wirkten wie Elektroschocks, verfehlten ihre aufrüttelnde Wirkung ja auch nicht. Außerdem: Immer gerade rechtzeitig, bevor Landfrust aufkam, stützten diejenigen, die zuletzt draußen waren, erst mal die Moral der Truppe: Mal was Positives gefällig? Also wir hatten ein superschönes Wochenende, es ist angebadet worden! Das Wasser ist ein Traum. Von der neuen Terrasse gar nicht zu reden.
Ganz anders als die E-Mail-Postfächer war der Weidenhof selbst, mit seinen ausschweifenden Tafelrunden zum gemeinsamen Frühstück, Kaffeetrinken und Grillen, eine erstaunlich konfliktarme Zone. Ein wenig verhielt es sich mit den Weidenhof-Kommunarden so wie mit dem Scheinriesen Herr Tur Tur bei Jim Knopf in der Augsburger Puppenkiste: Der wirkte auch nur aus der Distanz bedrohlich. Kam man ihm näher, schrumpfte er zusammen und war ein ganz liebenswerter Kerl. Fast schien es so, als ob die Blitzableiterfunktion der elektronischen Post eine gruppendynamische Gnade war: Vielleicht war das Leben vor Ort ja gerade deswegen überwiegend harmonisch, weil
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