Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen
zudem darüber, dass die Roschers zwecks Herstellung von Honig-Apfelwein neuerdings mit dem Imker aus Bürzow kooperierten. Aus demselben Grund hatte Frau Roscher vermutlich auch Körperbehandlungen mit Honig-Essenzen ins Programm aufgenommen. Die zu DDR -Zeiten eingeübte Improvisationsfähigkeit, zusätzlich zur Arbeit in der LPG mit allen Mitteln noch eine Ostmark nebenher zu machen, zahlte sich offenkundig auch in härter werdenden marktwirtschaftlichen Zeiten aus. Man war findig und hatte sein Auskommen.
Der Geschäftssinn der Familie Schaulinski, die ein paar Häuser weiter wohnte, übertrumpfte den der Roschers noch. Hier gab es auf engstem Raum ein derartig facettenreiches Produkt- und Dienstleistungsangebot, dass ich zunächst völlig durcheinanderkam. Denn als mir Frau Schaulinski die Tür öffnete, stellte ich fest, dass die Familie in ihrer überdachten Veranda getarnt hinter Gardinen nicht nur »Frische Eier« verkaufte, wie es am Gartentor angeschlagen stand, sondern ein ganzes Krämerlädchen unterhielt, in dem neben einigen selbst gehäkelten Puppen eine Auswahl von Artikeln aus dem zwanzig Kilometer entfernten Supermarkt mit leichtem Preisaufschlag weitervertickt wurde. Nachdem ich Frau Schaulinski zwecks Einladung schon einmal herausgeklingelt hatte, kaufte ich bei der Gelegenheit auch noch eine Packung Eier von den wahrscheinlich glücklichsten Hühnern der Welt. Durch das Maschendrahtgehege hinterm Haus hatten sie Seeblick und pickten frische Nüsse, die Oma Schaulinski in den Häkelpausen für sie knackte. Und doch lebte das Federvieh immer im Angesicht des Todes. Denn die Haupteinnahmequelle der Familie war das Bestattungsgewerbe. Die Trauergespräche wurden im Wohnzimmer geführt, die Särge in der Garage gezimmert. Ein mustergültig integriertes Unternehmen, das gewissermaßen den ganzen Lebenszyklus abbildete.
Mit einer Packung Eier in der Hand stand ich schließlich, zwei Straßenecken von unserem Haus entfernt, vor einer Informationstafel der Gemeinde, mit der im Zentrum des Dorfes auf Touristische Möglichkeiten hingewiesen wurde. Im hölzern-klappernden Stil hieß es da: Der Dorfteich im Zentrum ist rundherum landschaftlich schön gestaltet. Ein Spaziergang ist hier zu empfehlen. Schöne Wege im Grünen und Sitzmöglichkeiten sind vorhanden. Naturliebhaber können das Tun eines Storchenpaares beobachten. Der Maltriner See hingegen wurde in der untersten Ecke abgefertigt: Ein Vergnügen für alle Wasserratten und Petrijünger. Nach dem Vorbild von Reiseführern informierte die Tafel lieber noch über Einkaufsmöglichkeiten im Dorf. Das Angebot war lückenlos aufgelistet: die Fleischerei Modrow, die Pommesbude, die Bäckerei und die Mosterei der Roschers. Sämtliche dieser Läden befanden sich ohnehin in Sichtweite.
Nur die Bestattungssupermarkthühnerfarm der Schaulinskis blieb unerwähnt. Es musste ja auch Insidertipps geben.
PARTYGESTÄNDNISSE
Der Jens hat ehrlich gesagt seit Tagen schon nicht mehr geschlafen!«, hatte die Frau von Bauer Tiemann im fortgeschrittenen Stadium der Hofparty Andine verraten, und Andine steckte es gleich am Tag danach uns. Nach ein paar Gläsern Prosecco hatte Thea Tiemann es offen ausgeplaudert: Ihr Mann Jens habe es kaum übers Herz gebracht, das Lamm mit dem Namen Karl für unsere Hofparty zu opfern. Er habe sich von Gewissensbissen dem süßen Tier gegenüber geplagt nur noch hin und her gewälzt. Hätte sich am liebsten krankgemeldet. Wollte uns Weidenhofern gegenüber aber natürlich auch Wort halten. Andine hatte auf dieses Geständnis von Thea hin das Sprichwort erwähnt: »Hier ist das Fleisch gut, hier haben die Tiere noch einen Namen.« Worauf Thea Tiemann entgegnete, das sei ja genau die Krux: »Wer killt schon gerne das Lämmchen Karl, mit dem gestern noch die Kinder gekuschelt haben?«
So erklärte sich im Nachhinein auch das seltsame Verhalten von Jens Tiemann am Morgen vor der Party. Als er mit dem aufgespießten Lamm bei uns auf dem Weidenhof angerückt war, um es überm offenen Feuer anzugrillen, hatte er ohne Umschweife begonnen, Bier zu trinken. Sicher trank jeder von uns im Laufe des Tages mal das eine oder andere Fläschchen mit, zum Vorglühen für den Abend. Biobauer Tiemann aber hatte sich, während er mit der einen Hand das Lämmchen Karl kurbelte, mit der anderen zur Betäubung des Schmerzes darüber im Laufe des ganzen Tages ein Bier nach dem anderen reingeorgelt. Am Nachmittag, als sich die ersten Gäste am Gartentor die
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