Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen
Emo-Bolzen, und wenn er redete, dann nur über Handfestes. Als Gesprächsstoff waren für ihn Betonbodenplatten gerade eben konkret genug. Konnte sein Gegenüber da nicht mitziehen, brach der Uckermärker das Gespräch jäh ab.
Vielleicht war es ein bisschen früh für solch pauschale Schlussfolgerungen, und ich war schon ganz ins Zaumzeug meiner Vorurteile eingespannt. Aber in vorauseilender Anpassung an die unterstellten Gepflogenheiten strich ich meinen Einladungstext von Tür zu Tür weiter zusammen, bis kaum mehr als das pure Faktenskelett übrig blieb, vorgetragen in epigrammatischer Kürze: Party, Datum, Zeit, Ort und »tschüssi«. So arbeitete ich Fabians Liste ab: von Heinchen zu Bodin, von dort weiter zu Fleischermeister Modrow, dessen beste Kunden wir waren, weiter zu Jürgen und Mike, unseren Scheunenhelfern, dann noch zu Biobauer Jens Tiemann und auf jeden Fall auch noch zu den Polen, die vor Kurzem ins Nachbarhaus gezogen waren – bisher spielten nur unsere Kinder miteinander.
Möglicherweise erlag ich mal wieder meinem Faible für Klischees, aber der Zug durch die Gemeinde erschien mir wie der Besuch in einem Wachsfigurenkabinett für die Archetypen vom Lande: Heinchen als vielleicht einer der letzten Vertreter der LPG-Proletarier alter Schule, mit geschorenem Haar, Stiernacken und ärmellosem Shirt in schreienden Farben. Bodin, der grau melierte Handwerkermeister mit dem Tom-Selleck-Schnurrbart und einem gediegenen Wohlstandsbauch. Jürgen und Mike, die Vertreter der neuen Blaumannträgergeneration, die lange im Hotel Mama wohnen blieben und ihr Geld für das physische Eigentuning investierten: In der Blaumanngroup gab es viele im Fitnessstudio gestählte Oberkörper und fein ziselierte Tattoos auf den Waden zu bewundern, außerdem Felgenohrringe, die das Ohrläppchen aufspannten, stromlinienförmig geschmierte Gelkappenfrisuren und kantige, aber gut gepflegte Gesichter, die dadurch einen Hauch von Weiblichkeit ausstrahlten. Doch des Typenreichtums Maltrins ungeachtet gab es da eine Tradition, die allen gemeinsam war: die Einsilbigkeit, mit der sie auf Partyeinladungen reagierten. Vielleicht lag das aber auch daran, dass Wolfgang Schröder den meisten sowieso schon Bescheid gesagt hatte, wie ich immer wieder zu hören bekam.
Bei Biobauer Jens Tiemann war es anders. Er wohnte am anderen Dorfrand in einem alten Dreiseitenhof, dessen Backsteinwände von Efeu überwuchert waren, genau, wie wir es uns auch für unser Brombeerhaus erträumten. Das Dach war mit Photovoltaik-Modulen zugepflastert, und in dem mit abgeschliffenen Dachbalken und Reispapierlampen herausgeputzten Inneren des Hauses befanden sich neben den Wohnräumen auch die Praxisräume von Thea Tiemann, die hier Blutegeltherapie anbot. »Na, alles gut bei euch?«, fragte Jens Tiemann, der mich offenbar mit einem Blick dem Weidenhof zugeordnet hatte. »Alles gut bei euch?«, war eindeutig die Frage, mit der sich der Städter dem Städter zu erkennen gab. Ich erfuhr, dass Jens und Thea Ende der Neunzigerjahre nach ihrem Studium der Agrarwissenschaft aus Berlin nach Maltrin gezogen waren, um auf Biobauer zu machen. Das mit dem Hof habe sich seitdem ganz ordentlich angelassen, erzählte Jens, gab aber im selben Atemzug auch gleich zu, dass die beiden sich auf einem anderen Feld ziemlich verkalkuliert hatten.
»Vorher wurde immer viel geredet, ›wir kommen euch auf jeden Fall ganz oft besuchen‹! Aber das gab sich dann sehr schnell. Besonders im Winter sind wir hier regelrecht vereinsamt.«
»Jetzt gibt es ja uns«, sagte ich.
Für einen Moment fühlte sich unsere Begegnung an, wie wenn sich zwei Bewohner desselben Städtchens zufällig am anderen Ende der Welt über den Weg laufen.
»Schön, wir kommen gerne zu eurer Hofparty«, sagte Jens Tiemann und kündigte im Überschwang an, ein Lamm stiften zu wollen, das er höchstselbst über dem Feuer grillen werde.
Auf dem Rückmarsch zum Weidenhof vertrieb ich mir die Zeit damit, eine zur Typologie der Einwohner passende Typologisierung ihrer Häuser auszuhecken. Ich kam zu dem Ergebnis, dass man die meisten Behausungen grob zwei Modellen zuordnen konnte: Einerseits die von allem Bewuchs penibel frei gehaltenen, nackt auf einer artifiziellen Rasenfläche stehenden und mit glattem Putz auf Stadthaus getrimmten Eigenheime der Alteingesessenen – denn sie kannten es von Kindesbeinen an nicht anders, als dass die freie Natur gleich hinterm Haus anfing und man ihr deshalb mit Rasenmäher,
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