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Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen

Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen

Titel: Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Heckenschere, Motorsense und einer Ladung Unkrautvernichter immer schön eins auf die Zwölf geben musste. Üppigeren Pflanzenwuchs duldeten die Alteingesessenen nur in kleinen abgezirkelten Beeten hinterm Haus, wo Erdbeeren, Erbsen, Radieschen und Kartoffeln wuchsen. In diesem traditionellen Modell befanden sich Mensch und Natur in einem unemotionalen, rein pragmatischen Kooperationsverhältnis. Im krassen Kontrast dazu die Eigenheime von Berlinflüchtern wie Bauer Tiemann und uns, die sich der lang vermissten Flora wie in einem Baumumarmungsseminar geradezu lustvoll hingaben: Stadtflüchtlinge bevorzugten Feldsteinscheunen und Backsteinhäuser, die sie, Mutter Natur vollkommen ergeben, mit Rankpflanzen überwuchern ließen – zerfraßen ihnen die Gewächse auch den Dachstuhl. Auch die Vegetation rund um ihre Häuser herum ließen sie in Form von Kornblumen und anderen nutzlosen Gefühlspflanzen gewähren – Pflanzen, die bei den Alteingesessenen wegen ihres rein emotionalen Mehrwerts wohl kaum eine Überlebenschance gehabt hätten: bringen ja nischt. Eine dritte, aber zu vernachlässigende Kategorie waren die vereinzelten Datschen von Berlinern im Ruhestand. So wie unsere Raschelrentner mit den Ballonseidenanzügen, die sich vor ihrem Pfahlhäuschen ein Stück weiter am See tagein tagaus die Finger wund kniffelten und uns mit Vorliebe beim Starten unseres Bootsmotors zusahen. Der Stil dieser Häuschen bewegte sich irgendwo zwischen Schwedenkitsch und Musikantenstadl-Kulisse.
    Und wenngleich die Unterschiede zwischen Stadt- und Landmentalität offenkundig waren – gerade darum wurden auch Anfänge einer Durchmischung sichtbar: Stadtflüchtlinge wie Bauer Tiemann begannen, in ihren Bilderbuchbauernhöfen wieder eigenhändig zu schlachten. Die Alteingesessenen hingegen waren ihre Jobs in den landwirtschaftlichen Großbetrieben längst los und hatten auf Ich-AG umgesattelt: von Versicherungsberatung über Apfelsaftmosterei bis zu ayurvedischer Abhyanga-Massage. Und nicht selten vereinten sie solch unterschiedliche Serviceangebote unter einem Dach, wie ich vor dem Haus von Familie Roscher beeindruckt feststellte. Es war nicht zu leugnen, dass der berlinische Asien-Fimmel auch auf die vermeintlich hinterwäldlerische Uckermark übergegriffen hatte. Warum auch nicht? In der maschinellen Landwirtschaft gab es schließlich kaum noch was zu tun für die Leute, selbst Bauer Plietsch beschäftigte nur zwei feste Angestellte und half sich ansonsten mit Saisonkräften. Gleichzeitig wurde die durch Jobmangel ausblutende Region von Berliner Biobauern und Wochenendhausbesitzern neu bevölkert. Was lag also näher, als die Stadtflüchtlinge nach dem Bauchladenprinzip mit allem zu versorgen, was sie brauchten: Versicherungen für ihre Ferienhäuser und Scheunen, Massagen für ihre steifen Rücken und Seelensowie urwüchsigen Apfelsaftmostereien, damit noch irgendetwas an das ursprüngliche Landleben erinnerte. Es sah ganz danach aus, als schließe sich hier ein Kreis: Die vom zunehmend automatisierten Agrarbetrieb freigesetzten Dörfler bedienten mit so einer Apfelsaftmosterei im beschaulichen Backstein-Nebengelass nicht zuletzt auch die romantischen Vorstellungen der Stadtflüchtlinge, die zurück zur Natur und zum ursprünglichen Landleben wollten – und nun historisch rekonstruierte Reste davon vorgesetzt bekamen.
    Während ich so durch Maltrin schlenderte, gefiel mir der Gedanke, dass ich hier womöglich erste Pflöcke einer Milieutheorie des Dorfes im Wandel der Globalisierung in die Erde rammte und dass die akademische Welt nur darauf wartete. Ich las am Wegesrand alles auf, was sich später in der Studierstube zum großen Wurf zusammenpuzzeln lassen würde: der selbst beschriftete Pappteller an der Pommesbude, auf dem in Sütterlin geschrieben stand: »Keine Kreditkarten«; die schneidig-preußische Substantivsprache, in der das Schild der Apfelmosterei Roscher verfasst war – »Leergutannahme erfolgt nur in der Mostsaison« –, direkt neben dem Schild der Massagepraxis von Ines Roscher, dessen Botschaft hingegen von fernöstlicher Sehnsucht nach Weltflucht und Selbstauslöschung kündete: »Vergessen Sie den Alltag, lassen Sie alles hinter sich, finden Sie die totale Entspannung.« Darüber hing das Leuchtschild der Versicherungsagentur. Die Häuser der brandenburgischen Angerdörfer mit ihren Nebengelassen boten beste Voraussetzungen, um Ost und West unter ein Dach zu bringen. Ein selbst gemaltes Plakat informierte

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