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Sommerhaus mit Swimmingpool

Sommerhaus mit Swimmingpool

Titel: Sommerhaus mit Swimmingpool Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch , Pößneck GGP Media GmbH
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hellen Momenten, dachte ich an die finanziellen Folgen. Nicht allzu lange, denn die Lösung lag schließlich auf der Hand. Eine florierende Praxis in einem noblen Stadtteil war viel Geld wert. Angehende Hausärzte würden einen Mord begehen für eine Praxis wie meine. Es wurden astronomische Summen gezahlt, meist unter der Hand, wie man so sagt. Abstandszahlung. Offiziell war das natürlich verboten, aber das kümmerte niemanden. Ich könnte eine Anzeige aufgeben. Der Grünschnabel direkt von der Uni würde nur der Form halber ein bedenkliches Gesicht machen, wenn ich ihm den Betrag nennen würde. Doch seine Augen würden glänzen vor Gier, das Wasser würde ihm im Mund zusammenlaufen. »Aber Sie sollten sich rasch entscheiden«, würde ich sagen. »Die anderen rennen mir schon die Bude ein.«
    Allerdings durfte ich selber auch nicht zu lange warten. Eine Praxis mit kleinem Patientenstamm war immer noch eine Goldgrube, eine ohne Patienten nicht. Ich dachte nach. Von dem Erlös würden wir drei bis vier Jahre leben können. Dann würde man weitersehen. Irgendein ruhiger Posten. Betriebsarzt. Oder was ganz anderes. Eine radikale Veränderung. Hotelarzt auf den Kanaren. Touristen, die auf Seeigel getreten waren. Sonnenbrände zweiten Grades. Durchfall durch zu oft erhitztes Olivenöl. Vielleicht würde die Veränderung auch Julia guttun. Weg aus der vertrauten Umgebung. Ein Neuanfang. Das dachte ich zumindest in den hellen Momenten. Manchmal war der helle Moment noch nicht zu Ende, als der nächste Patient in mein Sprechzimmer kam.
    »Warum denken Sie an eine HIV – Infektion?«, fragte ich den schwulen TV – Komiker. Er fing an zu erzählen, Schilderungen von Partys, die mir gestohlen bleiben konnten. Ich versuchte, an einen Strand zu denken. Einen goldgelben Strand und ein strahlend blaues Meer. Nach der Sprechstunde im Hotel würde ich am Meer spazieren gehen. »Hat er Ihnen in den Mund ejakuliert?«, fragte ich. »Sind Sie in letzter Zeit bei der Mundhygiene gewesen?« Bei entzündetem Zahnfleisch können die Erreger über das Sperma in die Blutbahn gelangen. Ich stand bis zum Bauch im blauen Meer. Bereit für den Sprung ins Wasser. Die untere Hälfte des Körpers ist schon ganz kalt.Ich schaute auf den Mund des Komikers und versuchte, mir einen Schwanz zwischen seinen Lippen vorzustellen. Aus irgendeinem Grund war der Schwanz sehr bleich, er sah aus wie eine Lauchstange, und er steckte tief im Mund. Der Komiker lutschte und knabberte daran. »Verdammt, ich komme!«, stöhnte der Schwanzbesitzer. Die Schleusen öffneten sich. Der erste Schwall schoss dem Komiker gegen den Gaumen. Der nächste direkt ans entzündete Zahnfleisch. Eine tödliche Spritze hätte nicht wirkungsvoller sein können. Wenn man untertaucht, spürt man die Kälte. Aber schon ist man wieder oben. Das Salzwasser brennt in den Augen. Der Rotz, den man sich von der Oberlippe leckt, schmeckt nach Algen und Austern. Man sieht sich nach dem Strand um, auf dem man gerade noch stand. Reinigung ist das erste Wort, das einem einfällt. Der Komiker war etwas füllig, aber in einem Monat würde ihn niemand mehr wiedererkennen. Ausgemergelt. Ein besseres Wort dafür gibt es nicht. Aids frisst den Körper von innen heraus auf. Es setzt den Presslufthammer an eine tragende Wand. Die Konstruktion kracht in ihren Fugen. Im dritten Stock fällt der Putz von der Decke. Es ist wie bei einem Erdbeben. Hohe Gebäude stürzen manchmal leichter ein als Lehmhütten. Der Komiker hatte nicht die geringste Chance. Er hätte sich die Zähne besser putzen sollen. Er hätte rechtzeitig zur Dentalhygienikerin gehen sollen.
    Ich tat immer noch so, als würde ich zuhören, als würde ich mir Notizen machen, aber heimlich schaute ich ständig auf die Uhr, die hinter dem Komiker an der Wand hing. Die Uhr, die ich dort aufgehängt hatte, damit ich nicht auf meine Armbanduhr zu schauen brauchte. Wie lange noch? Noch keine vier Minuten waren verstrichen. Und jetzt schon wollte ich nichts mehr hören. Keine weiteren Details. Wäre er doch schon weg. Wäre er doch schon tot. Tiere verkriechen sich zum Sterben in eine Ecke. Katzen zum Beispiel hinter den Putzmitteln unter der Spüle. In sieben, acht Monaten würdeich seine Todesanzeige lesen. In seinem Fall vermutlich seitenfüllend. Eine Beerdigung mit über tausend Trauergästen auf dem Friedhof in der Biegung des Flusses. Trauerreden. Musik. Ein Nachruf im Fernsehen. Eine Wiederholung seiner besten Show. Noch ein paar fade

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