Sommerhaus mit Swimmingpool
bloß wissen, ob du es ihm zutraust.«
Ich schwieg.
»Marc?«
»Ja?«
»Ich habe dich etwas gefragt.«
»Entschuldige. Was hast du gefragt?«
»Ob er dazu imstande wäre. Ralph.«
Diesmal antwortete ich sofort.
»Absolut.«
Ein paar Tage später rief Judith mich auf meinem Handy an und erkundigte sich, wie es uns ging. Wie es Julia ging. Ich saß auf der Couch im Wohnzimmer. Julia lag auf dem Boden und blätterte in einer Zeitschrift. Lisa war bei einer Freundin. Caroline war einkaufen. Ich stand auf und ging in die Küche. »Den Umständen entsprechend gut«, sagte ich.
»Ich muss immer an euch denken. Ach, Marc, das ist alles so schrecklich. Für euch. Für Julia. Und dass es hier passiert ist. Ralph hat die Sache auch ziemlich mitgenommen. Er lässt herzlich grüßen. Und Stanley und Emmanuelle. Sie fliegen morgen in die USA zurück.«
In der Stille, die eintrat, hörte ich ein vertrautes Geräusch.
»Wo bist du?«
»Ich sitze am Pool, die Füße im Wasser.«
Ich schloss kurz die Augen. Ich ging zur Tür und schaute um die Ecke. Julia lag noch immer auf dem Bauch und blätterte in der Zeitschrift. Ich machte die Tür bis auf einen Spalt zu.
»Thomas fragt ständig nach Lisa. Er vermisst sie schrecklich.«
»Ja.«
»Das geht mir auch so. Mit dem Vermissen.«
Ich sagte nichts. Ich öffnete den Wasserhahn, nahm ein Glas von der Spüle und hielt es unter den Strahl.
»Ich vermisse dich auch, Marc.«
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39
Eine Woche vor Ende der Schulferien machte ich meine Praxis wieder auf, aber ich spürte keinerlei Elan. Viel davon hatte ich nie besessen, aber jetzt war er vollkommen versiegt. Trotz meiner Abneigung gegen den menschlichen Körper hatte ich den Job immer gut gemacht. Beanstandungen hatte es selten gegeben. Wirklich ernste Fälle überwies selbst ich an einen Facharzt. Die harmlosen Kandidaten bekamen ihr Rezept, und der großen Mehrheit, der überhaupt nichts fehlte, lieh ich geduldig mein Ohr. Ganze zwanzig Minuten lang schenkte ich ihnen ein verständnisvolles Gesicht. Nach dem Urlaub war das vorbei.
Ich war einfach nicht mehr dazu fähig. Schon nach fünf Minuten müssen sich hinter der interessierten Fassade die ersten Risse gezeigt haben, denn die Patienten hörten auf einmal auf zu reden, nicht selten mitten im Satz. »Ist etwas, Doktor?« »Nein, was soll sein?« »Ich weiß nicht, Sie machen ein Gesicht, als würden Sie mir nicht glauben.«
Früher ließ ich meine Patienten zwanzig Minuten lang ausreden. Anschließend gingen sie erleichtert nach Hause. Der Doktor hatte ihnen ein Rezept ausgestellt und ihnen ans Herz gelegt, es etwas ruhiger angehen zu lassen. »Vereinbaren Sie mit meiner Assistentin einen neuen Termin. Wir sehen uns dann in drei Wochen.«
Aber diese Geduld brachte ich einfach nicht mehr auf.
»Ihnen fehlt nichts«, sagte ich zu einem Mann, der schon zum dritten Mal in meiner Praxis auftauchte und über Schwindelgefühle klagte. »Rein gar nichts. Sie dürfen sich glücklich schätzen, dass Sie so gesund sind.«
»Aber Herr Doktor, wenn ich aufstehe …«
»Haben Sie mir eigentlich zugehört? Offenbar nicht. Sonst hätten Sie mich sagen hören, dass Ihnen nichts fehlt. Nichts! Tun Sie mir bitte den Gefallen, und gehen Sie einfach nach Hause.«
Einige Patienten tauchten gar nicht mehr auf. Sie teilten mir in einem Brief oder per E-Mail mit, sie hätten einen Hausarzt »in der Nähe« gefunden. Ich wusste genau, wo sie wohnten. Ich wusste, dass sie logen. Aber ich beließ es dabei. Zwischen den Terminen entstanden immer öfter Lücken. Zwanzig bis vierzig Minuten. Ich hätte einmal um den Block gehen oder in der Kneipe an der Ecke einen Kaffee trinken und ein Brötchen essen können, aber ich blieb in meinem Sprechzimmer, lehnte mich im Stuhl zurück und schloss die Augen. Ich versuchte auszurechnen, wie viele Monate es dauern würde, bis mir alle Patienten davongelaufen waren. Der Gedanke hätte mich in Panik versetzen müssen, aber das tat er nicht. Ich dachte an den Lauf der Dinge. Menschen werden geboren. Menschen sterben. Sie ziehen vom Land in die Stadt. Die Dörfer entvölkern sich. Zuerst gibt der Metzger auf, dann macht der Bäcker den Laden dicht. Streunende Hunde ergreifen Besitz von den ausgestorbenen, unbeleuchteten Straßen. Dann sterben die letzten Bewohner. Der Wind hat freies Spiel. Die schief in den Angeln hängenden Scheunentore knarren. Die Sonne geht auf und unter, doch ihre Strahlen wärmen nichts Menschliches mehr.
Ganz selten, in
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