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Sommerhaus mit Swimmingpool

Sommerhaus mit Swimmingpool

Titel: Sommerhaus mit Swimmingpool Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch , Pößneck GGP Media GmbH
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Erinnerungen in einer Talkshow – und dann würde die unvermeidliche Stille eintreten.
    Ich lächelte. Ein beruhigendes Lächeln. »Ach, so schlimm wird es schon nicht kommen«, sagte ich. »Die Ansteckungsgefahr ist relativ gering. Und selbst wenn: Die Medikamente sind inzwischen wahre Wundermittel. Hatten Sie auch ungeschützten Analverkehr?«
    Ich stellte die Frage so beiläufig wie möglich. Eben wie ein Hausarzt, der keine Vorurteile hat. Der Hausarzt muss über Vorurteile erhaben sein. Und das bin ich. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Aber darüber erhaben sein heißt noch nicht, dass sie einem ganz fremd sind. Bei der analen Penetration wird das Gewebe bis zum Äußersten strapaziert. Blutungen sind keine Ausnahme, sondern die Regel. Das ist kein Vorurteil, das sind Fakten. In der Natur hat alles Sinn und Zweck. Wenn es die Absicht gewesen wäre, dass wir unseren Schwanz in den Arsch eines anderen Menschen stecken, dann wäre die Öffnung größer. Anders gesagt: Die Öffnung ist so klein, damit wir unseren Schwanz nicht hineinstecken. Wie die Hitze einer Flamme uns davor warnt, unsere Hand zu lange darüberzuhalten. Ich betrachtete den todgeweihten Komiker. Ich hätte ihn untersuchen können. Ich hätte etwas über geschwollene Lymphknoten sagen können. Die Drüsen in Ihren Leisten sind in der Tat etwas geschwollen, aber das hat nicht unbedingt etwas zu bedeuten. Einerseits hatte ich Lust, ihn mit einer scheinbar beruhigenden Mitteilung in Panik zu versetzen, andererseits hatte ich absolut keine Lust auf nackte Haut, einen behaarten Hintern oder – Gott bewahre! – einen totalrasierten Schwanz. Ich zog ein Formular für eine Blutuntersuchung aus der Schublade und kreuzte willkürlicheKästchen an. Cholesterol. Zuckerspiegel. Leberfunktion. Ich schaute auf meine Armbanduhr. Ich hätte natürlich auf die Wanduhr schauen können, aber ich wollte ein deutliches Signal setzen: Die Sprechstunde ist zu Ende. »Wenn Sie jetzt gleich beim Labor vorbeigehen, wissen wir in ein paar Tagen Genaueres«, sagte ich und bugsierte ihn zur Tür. Ich ließ mich auf meinen Stuhl fallen und schloss die Augen. Ich versuchte, mir das Meer wieder vorzustellen. Das blaue, reinigende Meer. In dem Moment klopfte es. Meine Assistentin steckte den Kopf zur Tür herein. »Was ist passiert?«, fragte sie. »Wieso?« »Der Patient, der gerade da war«, sagte sie. »Der ist heulend rausgelaufen. Er würde nie wieder herkommen. Du könntest ihn … na ja …«
    Ich starrte meine Assistentin an. »Was hat er gesagt, Liesbeth?«
    Meine Assistentin bekam einen roten Kopf. »Er sagte … du könntest ihn, na ja, am Arsch lecken. Ist doch wirklich die Höhe.«
    Ich holte tief Luft. »Ich werde mich hüten, Liesbeth. Der Mann hat wahrscheinlich HIV . Wenn einer ohne Helm mit dem Motorrad gegen einen Baum fährt und tödlich verunglückt, ist es seine eigene Schuld. Wer ohne Schutz den Schwanz eines anderen in den Mund nimmt, braucht bei mir nicht auf Verständnis zu hoffen.«

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40
    Ich reagierte nicht auf Judiths Anruf. Sie rief selbst ein paar Tage später wieder an.
    »Wir haben noch euer Zelt«, sagte sie.
    Am liebsten hätte ich geantwortet, dass sie es im Garten verbrennen sollen. Wir würden es nie mehr benutzen.
    »Ich hole es ab, sobald ich Zeit habe«, sagte ich.
    Für einen Moment blieb es still am anderen Ende der Leitung, dann fragte sie, wie es Julia gehe. Irgendetwas in ihrer Stimme gab mir das Gefühl, als interessiere es sie nicht wirklich, als fühle sie sich verpflichtet, die Frage zu stellen. Sie bekam deshalb auch nur eine knappe Antwort. Und sie fragte tatsächlich auch nicht weiter. Wieder trat Stille ein. Ich erwartete, sie würde sagen, dass sie mich vermisse. Mich sehen wolle. Aber das tat sie nicht.
    »Ralph war in den letzten Urlaubswochen ziemlich lustlos«, sagte sie. »Und das ist er noch immer. Wenn ich ihn danach frage, winkt er immer ab. Ich mache mir ein bisschen Sorgen, Marc. Ich dachte, vielleicht kannst du ihn dir mal anschauen, ohne dass er etwas merkt. Denn zu einem Arzt will er nicht.«
    Es kam mir schon wie eine Ewigkeit vor, dass wir im Sommerhaus gewesen waren. Julia war noch immer stiller als sonst. Und sie duschte zwei bis drei Mal am Tag – selten kürzer als eine Viertelstunde. Körperlich war alles wieder in Ordnung, wie ich mich selbst ein zweites Mal vergewissert hatte.Auch diesmal hatte ich sie ausdrücklich gefragt, ob sie nicht lieber von einem anderen Arzt untersucht

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