Sommerhaus mit Swimmingpool
weggelaufen sind, der wie ichihre Leber befühlt und das Gleiche festgestellt – ihnen dann aber die Wahrheit gesagt hat. Wenn Sie so weitermachen, reißt Ihre Leber innerhalb von einem Jahr. Das Ende ist äußerst schmerzhaft. Die Leber kann das Zeug nicht mehr verarbeiten. Es breitet sich im ganzen Körper aus. Es sammelt sich in den Fußgelenken an, in den Herzkammern, in den Augen. Das Weiß im Auge färbt sich erst gelb, dann grau. Teile der Leber sterben ab. Die Leberruptur ist das letzte Stadium. Die Leute verlassen den Hausarzt, der ihnen all das sagt, und kommen zu mir. Irgendjemand – ein guter Freund, eine gute Freundin, ein Kollege – hat ihnen von einem Hausarzt erzählt, der es nicht so genau nimmt mit der Menge Alkohol, die man sich täglich hinter die Binde kippt. Ach, die Zahl der Gläser pro Tag ist sehr relativ, sage ich. Man lebt nur einmal. Gesund leben zu wollen ist einer der häufigsten Stressfaktoren. Es genügt doch ein Blick in die Geschichte. Wie viele Künstler, die ein lockeres Leben geführt haben, sind nicht achtzig Jahre und älter geworden? Mein neuer Patient beginnt sich zu entspannen. Ein Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. Ich sage meinen Patienten, was sie hören wollen. Ich nenne einen Namen. Pablo Picasso, sage ich. Pablo Picasso hatte auch nichts gegen ein Gläschen. Damit schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe. Der Patient fühlt sich geschmeichelt, weil ich ihn in einem Atem mit dem großen Meister nenne. Natürlich könnte ich es auch anders formulieren: Sie sind ein noch größerer Säufer als Pablo Picasso, allerdings besitzen Sie nicht ein Zehntel seines Talents. Es ist reine Verschwendung. Alkoholverschwendung. Doch das sage ich nicht. Und all die Künstlergenies, die sich zu Tode gesoffen haben, erwähne ich auch nicht. Als Dylan Thomas am letzten Tag seines Lebens in das New Yorker Chelsea Hotel zurückkehrte, in dem er wohnte, sagte er zu seiner Geliebten: »Ich hatte achtzehn volle Whiskys, ich denke, das ist Rekord.« Dann fiel er ins Koma. Bei der Autopsie stellte sich heraus, dass seine Leber viermal so groß war wie bei einemgesunden Menschen. Auch Charles Bukowski, Paul Gauguin, Janis Joplin erwähne ich nicht. Es geht darum, wie man lebt, sage ich. Wer das Leben zu genießen versteht, hält länger durch als die Miesepeter, die sich ausschließlich von Pflanzen ernähren und probiotischen Joghurt schlürfen. Ich erzähle ihnen von Vegetariern mit tödlichen Darmerkrankungen, von Abstinenzlern, die vor ihrem dreißigsten Lebensjahr an einem Herzinfarkt starben, von fanatischen Nichtrauchern, bei denen der Lungenkrebs zu spät entdeckt wurde. In den Ländern am Mittelmeer, sage ich, picheln die Leute schon seit Jahrtausenden ihren Wein und sind im Allgemeinen gesünder als wir hierzulande. Über die durchschnittliche Lebenserwartung Wodka saufender Russen verliere ich natürlich kein Wort. Jemand, der nicht lebt, wird nicht alt, sage ich. Wissen Sie, warum Schotten nie Grippe bekommen? Nein? Ich werde es Ihnen sagen … An diesem Punkt habe ich den neuen Patienten schon fast für mich gewonnen. Ich zähle die Whiskysorten auf: Glenfiddich, Glencairn, Glencadam – und dann ziehe ich die letzte Trumpfkarte aus dem Ärmel. Ich lasse durchblicken, dass auch ich einem guten Gläschen nicht abgeneigt bin. Dass ich einer von ihnen bin. Nicht in allem natürlich. Ich weiß, wo mein Platz ist. Ich bin kein Künstler. Ich bin nur ein einfacher Hausarzt. Aber einer, dem die Lebensqualität wichtiger ist als ein gesunder Körper.
Eine ehemalige Staatssekretärin kommt zu mir in die Praxis. Sie wiegt hundertfünfzig Kilo. Wir tauschen gelegentlich Kochrezepte aus, was ich natürlich nicht tun sollte. Manchmal kriege ich fast keine Luft mehr, Doktor, sagt sie, nachdem sie sich mir gegenüber am Schreibtisch schnaufend auf den Stuhl hat fallen lassen. Ich bitte sie, sich oben frei zu machen. Ich höre ihren Rücken ab. Die Geräusche in einem zu fetten Körper sind anders als in einem, in dem genug Platz für alle Organe ist. Alles muss sich mehr anstrengen. Es ist ein Kampf um Bewegungsfreiheit. Ein von vornherein aussichtsloserKampf. Das Fett ist überall, die Organe sind eingekesselt. Mit dem Stethoskop höre ich die Lungen ab, die bei jedem Atemzug das Fett zur Seite drücken müssen. Atmen Sie ganz langsam aus, sage ich. Und ich höre, wie das Fett wieder seinen Platz einnimmt. Das Herz schlägt nicht, es hämmert. Es macht Überstunden. Es muss das Blut
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