Sommerhaus mit Swimmingpool
Canyon vom Grandview Point. Wir haben keine Sprache mehr für schöne Frauen. Wir stehen da wie der Ochs vorm Berg. Wir reden um die Schönheit schöner Frauen herum. Ein gutes Restaurant entdeckt in letzter Zeit?, fragt der Mund. Noch Urlaubspläne? Die schöne Frau gibt ganz gewöhnliche Antworten. Zunächst ist sie noch froh und erleichtert, dass man ihr diese ganz normalen Fragen stellt, dass man ein ganz normales Gespräch mit ihr führt. So gewöhnlich. So normal. Als wäre sie überhaupt nicht schön, sondern ein Mensch wie jeder andere. Doch nach einer gewissen Zeit stellt sich doch ein ungutes Gefühl ein. Es ist ja auch merkwürdig: Die schöne Frau trägt ihre Schönheit wie einen prächtigen, ausgefallenen Kopfschmuck zur Schau, doch alle unterhalten sich mit ihr, als nähmen sie ihn gar nicht wahr.
Ralph Meier allerdings sagte bei der erstbesten Gelegenheit: »Du hast eine schöne Frau.« Es war beim zweiten Mal, als er inmeine Praxis kam, eine knappe Woche nach der Premiere von Richard II . Wie das erste Mal war er unangemeldet erschienen. »Kann ich vielleicht zwischendurch?«, hatte er meine Assistentin Liesbeth gefragt. »Ich bin auch in einer Minute wieder weg.«
Ich dachte, er wolle wieder ein Rezept für die Pillen, doch er erwähnte sie mit keinem Wort. »Ich war in der Nähe«, sagte er. »Ich dachte, ich frage dich persönlich.«
»Ja?« Ich strengte mich an, ihn so neutral wie möglich anzusehen, doch es gelang mir nicht. Ich konnte nur an den Blick denken, mit dem er eine Woche zuvor meine Frau von Kopf bis Fuß gemustert hatte.
»Am nächsten Samstag geben wir eine Party«, sagte er. »Bei uns zu Hause. Bei schönem Wetter im Garten. Ich wollte dich und deine Frau auch einladen.«
Ich sah ihn an und dachte: Würdest du uns auch einladen, wenn ich mit einer anderen Frau verheiratet wäre? Einer weniger appetitlichen Frau?
»Eine Party?«
»Judith und ich. Wir sind nächsten Samstag genau zwanzig Jahre zusammen.« Er schüttelte den Kopf. »Unglaublich. Zwanzig Jahre! Wie die Zeit vergeht.«
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9
»Er kommt einfach gleich zur Sache«, sagte ich. »Vollkommen schamlos, der Mann.«
Wir saßen am Küchentisch. Der Geschirrspüler gurgelte. Lisa lag schon im Bett, Julia machte in ihrem Zimmer noch Hausaufgaben. Caroline verteilte den letzten Rest des Weins.
»Marc, bitte!«, sagte sie. »Er findet dich einfach nett. Warum vermutest du hinter allem immer etwas Schlechtes?«
»Nett? Er findet mich überhaupt nicht nett, er findet dich nett. Das hat er wortwörtlich gesagt: ›Was hast du für eine schrecklich nette Frau, Marc!‹ Du willst mir doch nicht erzählen, dass er dich im Theater angeguckt hätte, wie ein Mann eine nette Frau anguckt. Dass ich nicht lache!«
Caroline nahm einen Schluck und sah mich mit schräg gelegtem Kopf an. Ihr Blick verriet es: Sie fand es amüsant, dass sich der berühmte Schauspieler Ralph Meier offenbar für sie interessierte. Und ich konnte es ihr nicht einmal verübeln. Wenn ich ganz ehrlich war, fand ich es selbst auch amüsant. Jedenfalls amüsanter, dachte ich, als wenn berühmte Schauspieler deine Frau wie Luft behandeln. Aber dann dachte ich wieder an seinen dreckigen Blick. Seinen Raubvogelblick. Nein, so amüsant war es nun auch wieder nicht.
»Du sagst, er würde uns zu seiner Party einladen, weil er hinter mir her ist, aber das ist Unsinn. Zu der Premiere hat eruns doch auch eingeladen. Und da kannte er mich noch gar nicht.«
Da war was dran. Und doch waren die Einladung zu einer Premiere und die zu einer privaten Party wirklich zwei verschiedene Paar Schuhe.
»Drehen wir es mal um«, sagte ich. »In einem Monat hast du Geburtstag. Würdest du Ralph Meier einladen?«
»Nun …« Caroline sah mich mit ihrem allerschelmischsten Blick an. »Nein, okay. Ich glaube nicht, nein. Da hast du recht. Ich meine doch nur, dass man nicht immer gleich hinter allem etwas Schlimmes suchen muss. Vielleicht findet er uns wirklich einfach nett. Uns beide, meine ich. Ist doch möglich. Bei der Premiere habe ich mich mit seiner Frau unterhalten. Ich weiß nicht, das gibt es doch manchmal, dass es gleich klickt. So ging es mir mit Judith. Wer weiß, vielleicht hat ja sie zu Ralph gesagt, er soll uns einladen.«
Judith. Ich hatte schon wieder ihren Namen vergessen. Das erste Mal eine Sekunde, nachdem sie mir im Theaterfoyer die Hand gegeben hatte. Das zweite Mal heute Morgen, als Ralph Meier von der Party angefangen hatte.
Judith , wiederholte ich in
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