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Sommerhaus mit Swimmingpool

Sommerhaus mit Swimmingpool

Titel: Sommerhaus mit Swimmingpool Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch , Pößneck GGP Media GmbH
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nicht mehr, wie ich das durchhalten soll.« Er habe meinen Namen von einem Kollegen, der schon seit Jahren mein Patient sei. Der habe ihm von den Pillen erzählt – Benzedrin, Amphetamin, Speed –, dass ich kulant sei beim Ausstellen von Rezepten. Was ich ihm als Arzt raten würde? Ich horchte und dachte ernsthaft darüber nach, was die Pillen in diesem Körper anrichten würden. Benzedrin, Amphetamin, Speed – es sind nur verschiedene Namen für ein und dasselbe. Das Herz schlägt schneller, die Pupillen und die Blutgefäße erweitern sich. Für ein paar Stunden sind wir allem besser gewachsen.
    Ich bin in der Tat kulant, was die Verschreibung bestimmter Mittel betrifft. Ja, so ist es. Warum sollte jemand die halbe Nacht wach liegen, wenn er schon mit einem einzigen Milligramm Lorazepam bis in die Puppen schlafen kann? Es gibt Arzneimittel, die die Lebensqualität erhöhen. Manche meiner Kollegen warnen ihre Patienten vor der Suchtwirkung, sie geben jemandem ein Rezept für Valium mit, doch wenn er dann um das nächste Rezept bittet, machen sie ein sorgenvolles Gesicht. Ich sehe das anders. Der eine braucht einen Tritt in den Hintern, der andere braucht ein Gehirn, das für ein paar Stunden etwas weniger nachdenkt. Das Schöne all dieser Medikamente ist ihre Einfachheit. Von fünf Milligramm Valiumwird man wirklich sehr viel ruhiger, keine drei Milligramm Benzedrin sind nötig, um jemanden von fünf Uhr morgens bis spät in die Nacht durch die Stadt hüpfen zu lassen. Ein anderer bekommt in Geschäften Angstzustände und traut sich nicht, Mädchen anzusprechen. Nach zwei Wochen Seroxat kommt er mit zwölf Hemden von Hugo Boss, einer von Alan Setscoe entworfenen Schreibtischlampe und fünf Hosen aus dem G – Star- RAW – Shop nach Hause. Eine weitere Woche später spricht er bereits alle Mädchen in der Disco an. Nicht nur ein oder zwei, nein, alle Mädchen. Er lässt sich nicht mehr von albernem Kichern oder regelrechter Abweisung einschüchtern. Für Kichern und Abweisungen hat er keine Zeit. »Die Nacht ist noch jung« ist ein Slogan für die pickligen Loser, die nach sieben Stunden Herumstehen mit einem Bier in der Hand allein nach Hause gehen. Die Nacht ist nicht jung, weiß er inzwischen dank Seroxat. Die Nacht fängt jetzt an. Je eher sie anfängt, desto länger dauert sie. Er hat sich eine perfekte Masche ausgedacht, das heißt, er denkt gar nicht mehr darüber nach, wie er ein Gespräch anfangen soll. Alle Anfangssätze sind gut. Sie sind vor allem gut, wenn man sie nach dreißig Sekunden schon wieder vergessen hat. Sie bestechen durch ihre Einfachheit. Du siehst gut aus, sagt er zu einem Mädchen, das gut aussieht. Gibt es auch einen Herrn Mulder?, fragt er eine Frau, die sich als Esther Mulder vorgestellt hat. Früher wären ihm solche Sätze nie über die Lippen gekommen, sagt der Seroxat-Schlucker. Gehen wir zu mir oder zu dir? Deine Augen sind am schönsten, wenn du lachst. Wenn wir jetzt zusammen weggehen, haben wir noch was vom Abend. Darf ich dich hier anfassen, oder hältst du mich dann für einen Schwerenöter? Nach fünf Minuten mit dir habe ich das Gefühl, dich schon Jahre zu kennen. Es ist – er hat kein anderes Wort dafür – befreiend , solche Sätze auszusprechen. Einfachheit, darum geht es. Einfachheit bedeutet, einer schönen Frau zu sagen, dass sie schön ist. Man sollte nie sagen: Weißt du, dass du sehr schönbist? Eine schöne Frau weiß das. Weißt du, dass du sehr schön bist?, sagt man in der Regel nur zu einer hässlichen Frau. Einer Frau, die das noch nie gehört hat, einer Frau, zu der das noch nie gesagt worden ist. Ihre Dankbarkeit kennt keine Grenzen. Später am Abend wird sie sich alles bieten lassen: einen ungewaschenen Pimmel mitten im Gesicht, einen Pimmel, der monatelang angestauten Samen über sie spritzt. Über ihren Bauchnabel, ihre Lippen, ihre Augenlider. Gelben Samen. Gelb wie die vergilbten Seiten eines Buches, das niemand lesen wollte und das neben dem Gartenstuhl in der Sonne lieben blieb. Schmierigen, wertlosen Samen, der nach einer halb ausgetrunkenen, hinten im Kühlschrank vergessenen Flasche Yakult riecht. Andererseits kommt es kaum noch vor, ja, so gut wie nie, möchte ich wetten, dass ein Mann auf einer Party einer schönen Frau sagt, sie sei schön. Niemand traut sich mehr. Darüber beklagen sich schöne Frauen oft untereinander: dass man das nicht mehr der Rede wert findet. So wie die Mona Lisa, die Akropolis oder die Aussicht auf den Grand

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