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Sommerhaus mit Swimmingpool

Sommerhaus mit Swimmingpool

Titel: Sommerhaus mit Swimmingpool Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch , Pößneck GGP Media GmbH
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wischte sich imaginäre Krümel oder Fussel von der Bluse.
    »Marc.« Er drückte meine Hand. Es war der kräftige Händedruck eines Mannes, der einen fühlen lassen will, dass er noch sehr viel kräftiger zudrücken könnte.
    Er wandte sich an Caroline. »Und das ist deine Frau? Na, du hast nicht zu viel versprochen.« Er beugte sich über ihre Hand und küsste sie. Dann drehte er sich zur Seite und legte seine Hand auf die Schulter einer Frau, die seine hünenhafte Gestalt verdeckt hatte. Sie trat im wahrsten Sinne des Wortes aus seinem Schatten und reichte uns die Hand.
    »Judith«, sagte sie.
    Wie ich später merkte, als ich Judith Meier zum ersten Mal allein sah, war sie gar nicht so klein. Sie war es nur neben ihrem Mann wie ein Dorf am Fuß eines Berges. Aber an jenem Abend im Theaterfoyer blickte ich von Ralph zu Judith und von Judith zu Ralph und dachte an die Dinge, an die ich öfter denke, wenn ich Ehepaare zum ersten Mal zusammen sehe.
    »Und, hat es euch gefallen?«, fragte Judith Meier, mehr Caroline als mich.
    »Es war fantastisch«, sagte Caroline. »Ein fantastisches Erlebnis.«
    »Vielleicht sollte ich mich kurz verkrümeln«, sagte Ralph, »dann brauchst du kein Blatt vor den Mund zu nehmen.« Er lachte sein homerisches Gelächter, und ein paar Leute schauten sich um und lachten mit.
    Wie ich schon sagte, manchmal muss ich Patienten auffordern, sich auszuziehen. Wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt. Bis auf wenige Ausnahmen sind es vor allem verheiratete Leute, die zu mir in die Praxis kommen. Ich betrachte ihre nackten Körper und schiebe die Bilder übereinander. Der eine Körper nähert sich dem anderen. Ich sehe einen Mund, Lippen berühren sich, Hände, Finger tasten, Nägel auf nackter Haut. Manchmal ist es dunkel, aber oft auch nicht. Es gibt Leute, die ohne Scham das Licht anlassen. Ich habe ihre Körper gesehen und weiß, dass das Licht in den meisten Fällen besser aus geblieben wäre. Ich betrachte ihre Füße, ihreKnöchel, ihre Knie, ihre Schenkel und das Gebiet um den Nabel, die Brust oder die Brüste, den Hals. Die Geschlechtsteile überspringe ich meist. Ich sehe zwar hin, aber mehr so, als würde ich ein totgefahrenes Tier auf der Straße liegen sehen. Mein Blick bleibt höchstens eine Sekunde hängen, wie ein lose sitzender Nagel an dem Faden eines Kleidungsstücks hängen bleibt – länger nicht. Dabei habe ich dann noch nichts über die Rückseite der Körper gesagt. Das ist eine Geschichte für sich. Pobacken können je nach Form oder Formlosigkeit Rührung oder blinde Wut auslösen. Das namenlose Gebiet, wo der Spalt zwischen den Pobacken in die untere Rückenpartie übergeht. Das Rückgrat. Die Schulterblätter. Die Haargrenze im Nacken. Auf der Rückseite eines Menschenkörpers ist mehr Niemandsland als auf der Vorderseite. Auf der Rückseite des Mondes verlieren Raumschiffe und Sonden jeglichen Funkkontakt zur Bodenstation. Ich setze meine interessierte Miene auf. Spüren Sie den Schmerz auch, wenn Sie auf der Seite liegen?, frage ich und denke dabei an die Ehepaare, die sich gegenseitig bei an- oder ausgeschaltetem Licht die Rückseiten betasten. Eigentlich möchte ich, dass es jetzt schnell vorbei ist. Dass sie sich wieder anziehen. Dass ich wieder nur ihr Gesicht zu sehen brauche. Aber ich vergesse die Körper nie. Ich verbinde das eine Gesicht mit dem anderen. Ich verbinde die Körper. Ich lasse sie sich umarmen. Schwer atmend nähert sich das eine Gesicht dem anderen. Zungen werden in Münder gesteckt und bewegen sich kreisend darin herum. In Großstädten gibt es Straßen mit hohen Gebäuden, in die wenig bis kein Sonnenlicht fällt. Zwischen den Platten des Bürgersteigs wächst Moos oder dürres Gras. Es ist dort kalt und klamm. Oder im Gegenteil heiß und feucht. Überall sind Fliegen oder Mückenschwärme. Danke, Sie können sich wieder anziehen. Ich habe genug gesehen. Mit Ihrem Mann ist alles in Ordnung? Mit Ihrer Frau?
    Ich blickte zu Ralph Meier und dann zu Judith. Sie war, wiegesagt, nicht klein, sie war nur klein neben ihm. Ich dachte an die Dinge, die Menschen im Dunkeln miteinander tun. Ich betrachtete Ralphs Hand, die ein Champagnerglas hielt. Es war ein Wunder, dass das Glas nicht zerbrach.
    Und dann kam auf einmal jener Augenblick, an den ich später noch oft gedacht habe – er hätte mich warnen müssen.
    Judith hatte Caroline am Ellenbogen gefasst, um sie jemandem vorzustellen, einer Frau, deren Gesicht mir irgendwie bekannt vorkam, zweifellos

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