Sommerhaus mit Swimmingpool
mehr bewegte.
Caroline sah mich an. »Darf ich mitlachen?«
»Ich dachte an Judith«, sagte ich. »Und an Ralph. Wie er dich anguckte. Dass sie wahrscheinlich nicht ahnt, was für eineBombe unter ihre zwanzigjährige Ehe gelegt wird, wenn du den Fuß über ihre Schwelle setzt.«
»Marc! Ich will doch nicht ihr Hochzeitsjubiläum vermiesen!«
»Klar, weiß ich doch. Aber du musst mir versprechen, keine Sekunde von meiner Seite zu weichen.«
Caroline lachte laut auf. »Ach, Marc! Wie wunderbar ist es doch, einen Mann wie dich zu haben. Einen Mann, der über mich wacht. Der mich beschützt.«
Jetzt war ich an der Reihe, sie mit schräg gelegtem Kopf schelmisch anzuschauen.
»Was ziehst du an?«, fragte ich.
[Menü]
10
Alle Väter möchten lieber einen Sohn als eine Tochter. Alle Mütter übrigens auch. Wir hatten Biomedizin bei Professor Herzl. Schon im ersten Jahr beschäftigten wir uns mit dem Instinkt. »Der Instinkt ist unausrottbar«, sagte er. »Gesellschaftliche Konventionen können ihn unterdrücken. Kultur und Rechtsprechung zwingen uns, unsere Instinkte unter Kontrolle zu halten. Aber der Instinkt liegt immer auf der Lauer. Er schlägt zu, wenn man mal einen Moment nicht aufpasst.«
Professor Aaron Herzl. Wem der Name irgendwie bekannt vorkommt: Es ist in der Tat derselbe Aaron Herzl, der später wegen seiner Arbeiten über das Gehirn von Kriminellen aus der Uni gemobbt wurde. Heute sind Herzls Forschungsergebnisse Allgemeingut, aber damals – in meinen Studienjahren – konnte man darüber nur im Flüsterton sprechen. Es war in den Jahren, als man noch an das Gute im Menschen glaubte. Das Gute in allen Menschen. Schlechte Menschen konnten sich bessern – so die gängige Meinung. Alle schlechten Menschen.
»Das biblische Auge um Auge, Zahn um Zahn entspricht der menschlichen Natur viel mehr, als wir öffentlich zugeben wollen«, dozierte Herzl. »Wir wollen den Mörder unseres Bruders umbringen, wir wollen den Vergewaltiger unserer Frau kastrieren, dem Einbrecher, der in unser Haus eindringt, wollen wir beide Hände abhacken. Gerichtsverfahren schleppen sich über Jahre hin, doch das Ergebnis ist schließlich das gleiche. Lebendig begraben. Weg. Wir wollen die Mörder und Vergewaltiger nie mehr auf unseren Straßen sehen. Wenn der Vater stirbt, trägt der Sohn die Fackel weiter. Er jagt die Eindringlinge aus dem Haus und tötet die Barbaren, die seine Mutter und seine Schwestern vergewaltigen wollen. Beim ersten Kind stößt nicht nur der Vater, sondern auch die Mutter einen Seufzer der Erleichterung aus, wenn es ein Junge ist. Das sind Fakten, die keine zweitausendjährige Zivilisationsgeschichte vom Tisch wischt. Was sage ich? Zweitausend Jahre? Noch vorgestern war es so. Vor kaum zwanzig, dreißig Jahren. Wir dürfen nie vergessen, woher wir kommen. Liebe, nette, sanftmütige Männer, wunderbar! Aber das zählt bloß in Zeiten der Ruhe und des Luxus. In einem Konzentrationslager sind liebe, nette Männer zu nichts nutze.«
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Ich liebe meine Töchter. Mehr als alles oder alle auf der Welt. Ich bin nur ehrlich. Ich wollte einen Sohn. Ich wünschte es mir so sehr, dass es fast wehtat. Einen Sohn. Einen Jungen. Ich dachte an den Instinkt, als ich die Nabelschnur durchschnitt. Julia. Ab ihrer Geburt gab es nichts, was ich lieber hatte als sie. Mein Mädchen. Es war Liebe auf den ersten Blick. Die Art Liebe, bei der einem Tränen in die Augen schießen. Aber der Instinkt war stärker. Nächstes Mal besser, flüsterte die Stimme in mir. Die nächste Chance kommt bestimmt. Mit Lisas Geburt war dann alles vorbei. Wir haben noch darüber geredet, über ein drittes Kind, aber noch eine Tochter wäre dann doch zu viel des Guten gewesen. Es ist, wie es ist. Die Wahrscheinlichkeit einer dritten Tochter war hundert Mal größer als die eines Sohns. Und Männer mit drei oder mehr Töchtern sind nur noch lächerlich. Es war Zeit, mich mit den Tatsachen abzufinden. Und mit ihnen zu leben. Ich listete die Vor- und Nachteile auf, wie man die Vor- und Nachteile eines Lebens auf dem Land und in der Stadt miteinander abgleicht. Auf dem Landsieht man mehr Sterne, es ist stiller, die Luft ist sauberer. In der Stadt findet das Leben direkt vor der Tür statt. Es ist dort zwar lauter, dafür braucht man aber auch keine sieben Kilometer zu fahren, um eine Zeitung zu kaufen. Es gibt Kinos und Restaurants. Auf dem Land gibt es mehr Insekten, in der Stadt mehr Straßenbahnen
Weitere Kostenlose Bücher