Sommerhaus mit Swimmingpool
Erinnerung geblieben. Ralph Meier hatte versucht, unbarmherzig dreinzuschauen, aber aus seinem Blick sprach vor allem Verwunderung. Weil ein über hundert Kilo schwerer Widerstandsheld nicht glaubwürdig wirkte, hatte er sich eine strenge Diät verordnet. Es war ihm anzusehen, dass er mehrere Kilo abgenommen hatte, aber der Gewichtsverlust machte seinen Körper nicht schlanker, sondern höchstens leerer. Und als er eine halbe Stunde vor Ende des Films vor dem Exekutionskommando stand, sah er vor allem erleichtert aus. Wahrscheinlich war er froh, dass er sich endlich wieder ein Brötchen beim Cateringbus holen konnte.
»Es gehen immer noch viele Leute ins Theater«, sagte ich. »Für die ist Ralph Meier berühmt.«
Und Lisa drehte sich zu mir um und schenkte mir ihr liebstes Lächeln: »Ja, Paps.«
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11
Manchmal spult man sein Leben zurück, um herauszufinden, an welcher Stelle es eine andere Wendung hätte nehmen können. Da!, sagt man. Da, an der Stelle! Da, an der Stelle sage ich, dass wir im Urlaub ungefähr in die gleiche Gegend fahren und es doch ganz nett wäre (»In der Tat. Ja. Warum nicht? Wer weiß?«), wenn wir mal bei ihnen vorbeischauten. Das war am Ende des Abends, lange nach Sonnenuntergang, als wir uns verabschiedeten und sowohl Ralph als auch Judith das Sommerhaus zum ersten Mal erwähnt hatten.
Man stoppt den Film und schaut sich noch einmal Bild für Bild an. Hier umarmt Judith Caroline und küsst sie auf beide Wangen. »Wir sind von Mitte Juli bis Mitte August da«, sagt sie. »Also wenn ihr in der Gegend seid …« Noch ein Stück weiter zurück sieht man Ralph Meier, wie er über einen Witz lacht, den man nicht hören kann und an den man sich auch nicht mehr erinnert. »Wir haben diesmal im Sommer ein Haus gemietet«, sagt er. »Ein Haus mit Swimmingpool nicht weit vom Strand. Wenn ihr Lust habt, kommt doch einfach vorbei. Platz ist genug.« Er gibt einem einen Klaps auf die Schulter. »Und Alex würde es auch nett finden, glaube ich.« Er zwinkert und sieht zu meiner älteren Tochter hinüber. Zu Julia. Doch Julia wendet sich ab und tut, als hätte sie es nicht gehört.
Alex war der ältere Sohn. Ich stand dabei, als sie einander vorgestellt wurden. Das war noch im Flur, als wir gerade angekommen waren. Man erlebt es nicht oft, und gerade deshalb weiß man sofort, wenn es echt ist. Der Funke. Der Funke, der im wahrsten Sinne des Wortes überspringt.
»Und, was meint ihr?«, fragte Caroline auf der Rückfahrt unsere beiden Töchter. »Sollen wir die Leute in den Ferien mal besuchen?«
Hinten blieb es still. Im Rückspiegel sah ich Julia verträumt aus dem Fenster schauen. Lisa hatte die Kopfhörer ihres MP 3-Players in den Ohren.
»Julia? Lisa?« Caroline drehte sich um. »Ich habe euch etwas gefragt.«
»Ja?«, sagte Julia. »Was?«
Meine Frau seufzte. »Was ihr davon haltet, wenn wir die Leute in den Ferien mal besuchen.«
»Mir egal«, sagte Julia.
»Ich hatte den Eindruck, du fandst den Jungen ganz schön nett. Wir haben dich den ganzen Nachmittag und Abend nicht mehr gesehen.«
»Mama …«
»Oh, entschuldige bitte! Ich dachte nur, du fändest es vielleicht schön, ihn wiederzusehen. In den Ferien.«
»Mir egal«, sagte Julia.
»Und du, Lisa?«, fragte meine Frau. Sie musste fast schreien, bevor Lisa ihre Ohrdinger rauszog. »Was du davon hältst, wenn wir die Leute besuchen in den Ferien. Sie haben ein Haus am Meer gemietet. Mit Swimmingpool.«
Lisa hatte sich mit Alex’ jüngerem Bruder und noch einigen Kindern in eine Ecke des Wohnzimmers zurückgezogen. Sie hatten sich DVD s angeschaut und PlayStation auf einem riesigen Plasma-Bildschirm gespielt. Thomas! Es war ein Wunder, dass mir der Name sofort einfiel. Thomas. Alex und Thomas. Thomas schien mir genauso alt wie Lisa zu sein, aber Alex war wahrscheinlich ein oder anderthalb Jahre älter als Julia. Vierzehn oder fünfzehn. Er war ein nicht unhübscher Jungemit blonden Locken und einer für sein Alter ziemlich tiefen Stimme. Alle seine Bewegungen – wie er ging, wie er den Kopf drehte, um einen anzusehen – waren von einer einstudierten Langsamkeit, als versuchte er, eine Zeitlupenaufnahme von sich selbst anzufertigen. Thomas war mehr der ADS – Typ: zappelig und laut. In der Zimmerecke vor dem Plasma-Fernseher gingen ständig Gläser und Schalen mit Knabberzeug zu Bruch, und die Kinder kugelten sich vor Lachen über seine Scherze.
»Ja, Swimmingpool!«, rief Lisa.
Nach der Begrüßung war ich erst ein
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