Sommerhaus mit Swimmingpool
Legionen, standen jubelnd auf allen römischen Hügeln und reckten ihre Schwerter, Schilde und Speere gen Himmel, Flotten von Hunderten Schiffen lagen im Hafen von Alexandria, es gab Wagenrennen, Gladiatorenkämpfe, brüllende Löwen und in Stücke gerissene Christen. Ralph Meier hatte die Krankheit in ihrer aggressivsten Form. Nur ein radikaler Eingriff hätte Aussicht auf Erfolg gehabt: ein Erstschlag, ein flächendeckendes Bombardement, das den bösartigen Zellen mit einem Streich den Garaus gemacht hätte. Ich betrachtete ihn. Im Innern seines Körpers hatte aller Wahrscheinlichkeit nach die Hauptstreitmacht bereits zum Angriff geblasen.
»Senators!« , rief er. »From this day I am your emperor. Emperor … Augustus.«
Seine Stimme trug wie immer weit – damals noch. Falls etwas nicht in Ordnung gewesen sein sollte, ließ er es sich nicht anmerken. Ralph Meier verstand sein Fach. Wenn es sein musste, spielte er alle an die Wand. Auch eine tödliche Krankheit.
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3
Im Lauf der Jahre verschwanden die normalen Leute nach und nach aus meiner Praxis. Leute, die von neun bis fünf arbeiten, meine ich. Ich habe zwar noch einen Rechtsanwalt und den Betreiber eines Fitnessstudios, doch die meisten meiner Patienten sind in den sogenannten künstlerischen Berufen tätig. Von den Witwen einmal abgesehen. Von denen habe ich ziemlich viele. Man kann getrost von einem Witwenüberschuss sprechen. Witwen von Schriftstellern, von Malern … die Frauen halten länger durch als die Männer, sie sind aus einem anderen, härteren Holz geschnitzt. Mit einem Leben im Schatten kann man sehr alt werden. Ein Leben lang Kaffee kochen und alle naselang zur Weingroßhandlung, damit die Genies in ihren Ateliers nicht auf dem Trockenen sitzen. Frischer Lachs aus Norwegen für die Schriftsteller in ihren Stuben, durch die man sich immer auf Zehenspitzen bewegen muss. Hört sich anstrengender an, als es ist. Die Witwen werden alt. Steinalt. Oft blühen sie für kurze Zeit auf, wenn der Mann das Zeitliche gesegnet hat. Sie sitzen in meinem Sprechzimmer, tupfen sich bekümmert die Augen trocken, sind aber auch erleichtert. Erleichterung ist eine Emotion, die sich schwer verbergen lässt. Ich betrachte sie mit den Augen des Arztes. Ich habe gelernt, durch die Tränen hindurchzusehen. Ein langes Krankenlager ist kein Zuckerschlecken. Leberzirrhose ist eine langwierige und schmerzhafte Angelegenheit. Oft reagiert der Patient zuspät, er greift noch nach dem Eimer neben dem Bett, doch das Blut sprudelt schon. Dreimal täglich die Bettwäsche wechseln, schwer vom Erbrochenen und dem Kot, das verlangt dem Körper mehr ab als Kaffeekochen und das Überwachen des Genever-Vorrats. Wie lange dauert das noch?, fragt sich die zukünftige Witwe. Halte ich es bis zur Beerdigung durch?
Doch schließlich bricht der Tag an. Das Wetter ist schön, am blauen Himmel treiben ein paar Schäfchenwolken, Vögel singen in den Zweigen, es duftet nach frischen Blumen. Zum ersten Mal in ihrem Leben steht die Witwe im Mittelpunkt. Sie trägt eine Sonnenbrille, damit niemand ihre Tränen sieht – zumindest glauben das alle. Doch in Wirklichkeit sollen die dunklen Gläser ihre Erleichterung verbergen. Der Sarg wird von den besten Freunden zum Grab getragen. Es werden Reden gehalten. Und es wird getrunken. Viel getrunken. Kein dünner Kaffee, sondern Weißwein, Wodka und Oude Genever. Zum Essen kein Sandkuchen und keine Mandeltörtchen, sondern Austern, geräucherte Makrelen und Fleischkroketten. Danach zieht die ganze Gesellschaft zur Stammkneipe. »Alles Gute, alter Junge, wo immer du jetzt sein magst! Arschloch! Alte Sau!« Es wird angestoßen, der Wodka fließt reichlich. Die Witwe hat die Sonnenbrille ins Haar gesteckt. Sie lacht. Sie strahlt. Die vollgekotzten Betttücher liegen noch im Wäschekorb, morgen kommen sie zum letzten Mal in die Waschmaschine. Sie glaubt, ihr Leben wird immer so weitergehen. Die Freunde werden noch Monate (noch Jahre!) anstoßen. Auf sie. Auf ihren neuen Mittelpunkt. Sie weiß in dem Moment noch nicht, dass es bei ein paar Höflichkeitsbesuchen bleiben wird. Dass die Stille, die folgt, die gleiche Stille ist, die sich immer nach einem Leben im Schatten einstellt.
So läuft es meistens. Doch es gibt Ausnahmen. Wut macht Witwen hässlich. Heute Morgen gab es vor der Tür zu meinem Sprechzimmer einen ziemlichen Aufruhr. Es war noch früh, ich hatte gerade meinen ersten Patienten hereingerufen.»Doktor«, hörte ich meine
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