Sommerhaus mit Swimmingpool
nur wenige Sekunden, bis ich mich erinnerte: Es war das dicke Mädchen vom Vermietbüro … Das Mädchen, das versprochen hatte, uns den Klempner zu schicken, um das Problem mit dem Wasser zu beheben.
Und plötzlich wusste ich auch wieder, wer der Mann gewesen war, der an der Klotür gerüttelt hatte. Waren die beiden nicht ein Paar? Erst jetzt fiel mir auf, dass die Frau verweinte Augen hatte. Verweinte, gerötete Augen. Sie stotterte nochmals eine Entschuldigung.
Ich hob die Hand. Macht doch nichts , sollte das heißen. Vielleicht hatte der Klempner die Beziehung ja gerade beendet. Ihre Wangen waren fleckig. Sie musste gerade geweint und sich heftig die Augen und Wangen gerieben haben. War es nicht ungerecht, dass Mädchen, die so aussehen wie dieses, auch noch am laufenden Band den Laufpass bekommen? Oder rechnete so jemand damit? Erwartete sie nichts anderes und war sie schon froh, wenn ihr ein verschwitzter Klempner für ein paar Wochen (oder Stunden) seine Lippen an den Hals drückte und ihr Zärtlichkeiten ins Ohr flüsterte?
»Ich … ich muss leider weiter«, sagte ich. »Geht’s?«
Sie nickte. Errötete sie schon wieder, oder waren das nur die Flecken in ihrem Gesicht? Sie schob sich an mir vorbei und verschwand im Restaurant. Niemand achtete auf mich. Lisa und Thomas rannten immer noch hinter dem Ball her, inzwischen hatten sich noch andere Kinder in ihrem Alter dazugesellt. Von dem Tumult an der Bar hatten sie glücklicherweise nichts mitbekommen. Kurz bevor ich zur Toilette gegangen war, hatte ich Lisa noch Bescheid gesagt. »Wenn was ist, ich bin da hinten, ich muss mal aufs Klo.« Und ich hatte auf das Restaurant gezeigt. »Ist gut«, hatte sie gesagt, ohne mich anzuschauen, und war schon wieder hinter Thomas und drei anderen Jungen hergerannt.
Ralph hatte die Männer schließlich von sich abgeschüttelt. Fluchend hatte er die Plastiktüte mit den Feuerwerkskörpern gepackt und war Richtung Meer gestürmt. Mich hatten sie da schon losgelassen. »Komm, Marc!«, hatte Ralph mir noch zugerufen. »Sollen diese Arschlöcher doch ihre Flittchen beschützen!« Aber er hatte sich nicht mehr nach mir umgeschaut.
Von Stanley war weit und breit keine Spur. Ich hatte mich aufgerappelt, mir den Sand von Hemd und Hose geklopft und mich mit einem Auge umgesehen.
In dem Moment war das lettische Mädchen umgekippt. Gerade hatte sie noch mit dem leeren Glas in der Hand dagestanden, im nächsten Augenblick sank sie in sich zusammen. Lautlos. Ein Blatt, das vom Baum fällt. Die Männer beugten sich über sie, klatschten ihr auf die Wangen. Einer hielt ihr irgendwas unter die Nase. Ein anderer nahm ein nasses Tuch von der Theke und tupfte ihr die Stirn. Ein Augenlid wurde hochgeschoben, unter dem nur das Weiße sichtbar war. Ich wandte den Blick rasch ab und hob unwillkürlich die Hand an mein eigenes Auge.
»Ein Arzt«, rief jemand. »Kann jemand einen Arzt rufen?«
Ich hätte mich verdrücken können. Niemand achtete auf mich. Ich holte tief Luft und sah aufs Meer. Es wurden jetzt kaum mehr Raketen abgeschossen, das Meer lag schwarz und dunkel unter dem schwarzen, mit Sternen übersäten Himmel. Zwischen den Basstönen hörte man das Rauschen der Brandung.
»Ich bin Arzt«, sagte ich.
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29
Später habe ich mich oft gefragt, ob alles anders verlaufen wäre, wenn sich das Mädchen aus Lettland auf den Beinen gehalten hätte. Ob ich dann rechtzeitig zur Stelle gewesen wäre. Aber soviel ich auch grübelte, ich kam zu keinem eindeutigen Ergebnis. Manchmal sagt man etwas zu jemandem, was man später bereut. Etwas Schlimmes. Zumindest, man glaubt, dass es etwas Schlimmes war. Man liegt nächtelang wach und lässt sich das Gespräch wieder und wieder durch den Kopf gehen. Doch nach einer gewissen Zeit verblassen die Sätze. Man fasst sich ein Herz und spricht den anderen auf den Vorfall an: Habe ich etwas Schlimmes zu dir gesagt?, fragt man. Wovon redest du?, fragt der andere.
Fakt ist, dass ich eine Viertelstunde brauchte, um das Wodkamädchen wiederzubeleben. Ich fühlte ihren Puls und legte das Ohr an ihre Brust, um festzustellen, ob sie vielleicht Flüssigkeit (Wodka!) in die Lungen bekommen hatte. Ich legte mein Ohr zwischen ihre Brüste, um genau zu sein. Es war eine Frage von Leben und Tod, wie ich aus Erfahrung wusste. Leichtgewichte wie dieses Mädchen – sie wog kaum vierzig Kilo, stellte ich später fest, als ich sie hochhob – können an einer Überdosis Alkohol sterben. Der Körper weiß
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