Sommerhaus mit Swimmingpool
will dann von ihren ewig nörgelnden Eltern gestört werden?
»Weißt du, wo Judith ist?«, fragte ich Lisa, nachdem sie sich herabgelassen hatte, Notiz von mir zu nehmen, und stöhnend zu mir gekommen war.
»Wen?« Sie sah zu den Fußball spielenden Jungen hin und hörte mir gar nicht zu.
»Judith. Die Mutter von Thomas.«
Sie antwortete nicht, strich sich die Haare aus dem verschwitzten Gesicht.
»Lisa …«
»Ja?«
»Ich habe dich etwas gefragt.«
»Entschuldige, was?« Erst jetzt sah sie mich an. »Was ist mit deinem Auge passiert, Papa?«
Ich versuchte, mit dem Auge zu blinzeln, doch es fing sofort an zu tränen.
»Nichts, mir ist was reingeflogen, ein Insekt oder so …«
»Thomas’ Mutter sitzt da hinten«, sagte Lisa und streckte die Hand aus. Judith saß auf einer kleinen Erhöhung bei der Brandung. Ich winkte so lange, bis sie mich bemerkte. Sie winkte zurück.
Geh ruhig wieder spielen, wollte ich zu Lisa sagen, doch sie war schon auf und davon. Ich schlenderte zwischen den Jungen hindurch ans Wasser.
»Na«, sagte Judith, als ich vor ihr stand. »Habt ihr noch viele Böller abgebrannt?«
Sie hielt eine Zigarette in der Hand. Ich kramte in meiner Hosentasche nach meiner Packung und ließ mir von ihr Feuer geben.
»Ich gehe mal kurz zu der anderen Strandbar«, sagte ich. »Alex und Julia sind da hingegangen.«
Ich hatte versucht, es möglichst locker zu sagen, aber vielleicht klang doch etwas wie Besorgnis in meiner Stimme mit.
»Soll ich mitkommen?«
Ich nahm einen Zug. Die Gischt der Brandung, die fünf Meter vor uns an den Strand schlug, spritzte mir feine Tropfen ins Gesicht. »Ich weiß nicht …« Ich zeigte hinter mich, wo unsere Kleinen Fußball spielten.
»Ach, die werden uns bei den vielen Leuten kaum vermissen. Und solange sie hierbleiben …« Sie stand auf. »Ich sageThomas, wir sind gleich wieder zurück. Was ist mit deinem Auge passiert?«
Der Strand war weniger dunkel, als ich gedacht hatte. Manche der Sommerhäuser hinter und auf den Dünen waren hell erleuchtet. Nach zehn Minuten wurde die hämmernde Musik hinter uns von dem Dröhnen aus der Strandbar vor uns abgelöst. Es war eine andere Musik, Salsa oder jedenfalls etwas Südamerikanisches. Judith hatte ihre Slipper abgestreift und trug sie in der Hand.
Meine Unruhe von vorhin war wie weggeblasen. Ich hatte mir wie so oft, dachte ich, ganz grundlos Sorgen gemacht. Was konnte hier schon passieren? Ab und zu kamen uns Gruppen von Menschen entgegen, hauptsächlich Jugendliche in Badehose und Bikini, manchmal ein Pärchen, das alle fünf Meter zum Knutschen stehen blieb.
»Entschuldige, dass ich einfach so weggegangen bin«, sagte Judith. »Aber ich kann es nicht ausstehen, wenn Ralph sich so aufführt. Er ist dann wie ein großes Kind. Er vergisst, dass er selber Kinder hat. Ich ärgere mich schwarz, wenn er sich vor ihnen so gehen lässt.«
Ich schwieg, ging etwas näher neben ihr her, sodass sich unsere Arme berührten. Ich roch Seeluft vermischt mit dem Duft eines Parfüms oder Deodorants. Es war nur eine Frage der Zeit, oder besser gesagt: des Timings. Es wäre voreilig gewesen, ihr jetzt schon den Arm um die Taille zu legen. Bis zu der Strandbar vor uns brauchten wir höchstens noch zehn Minuten. Innerhalb dieser zehn Minuten würde ich sie so weit haben. Aber ich musste subtil vorgehen. Nicht wirklich subtil natürlich: subtil in ihren Augen.
»Es ist bemerkenswert«, sagte ich. »Wie sehr Ralph alles um sich herum vergessen kann. Ob er nun schnorchelt oder einen Schwertfisch in Stücke hackt, er macht alles mit der gleichen Begeisterung, mit der gleichen Energie. Ich beneide ihn manchmal darum. Diese Energie habe ich einfach nicht.«
Frauen ziehen über ihre Männer her. Alle Frauen. Sie haben von Zeit zu Zeit einfach das Bedürfnis, sich etwas Luft zu machen. Aber man darf ihnen nie zustimmen. Nie. Man darf ihnen nie das Gefühl geben, sie hätten eine falsche Wahl getroffen. Im Gegenteil. Man muss den Ehemann verteidigen. Mit der Verteidigung des Ehemanns macht man der Frau ein indirektes Kompliment für ihren guten Geschmack.
»Findest du?«, sagte Judith. »Manchmal ist sie ganz schön schlauchend, diese Energie.«
Als Ralph vorhin den Topf in den Himmel geschossen hatte, hatte er seine Frau eine Meckerziege genannt. Er hatte völlig recht. Judith war eine notorische Nörglerin. Schon als Ralph beim Sommerhaus den Böller krachen ließ, hatte sie ganz ohne Grund genörgelt und gemeckert. Aber sie
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