Sommerhaus mit Swimmingpool
nicht mehr, was er mit dem ganzen Zeug anfangen soll. Das Herz pumpt wie wild, aber nach einiger Zeit streicht es die Segel. Ich hatte keine Zeit, mich um die mögliche Reaktion derMänner zu kümmern, die uns umringten, und drückte also mein Ohr zwischen ihre Brüste. Es waren kleine Brüste, das Geräusch des hämmernden Herzens wurde von ihnen kaum gedämpft. Es schlug langsam und schwer. Das Endstadium. In fünf Minuten konnte alles vorbei sein. Ich hob mit der linken Hand ihren Kopf etwas hoch und legte die andere flach auf ihren Bauch. Ich schmeckte den Wodka, als ich meinen Mund auf ihre Lippen drückte. Mund-zu-Mund-Beatmung. Ich habe sie selten anwenden müssen. Einmal bei einem dreifachen Familienvater, der von einer Wildwasserrutsche mit dem Hinterkopf gegen den Beckenrand geschlagen und auf der Stelle untergegangen war. Ein anderes Mal bei einem betagten Schriftsteller in meiner Praxis. Während ich ihm die Ohren ausspritzte, verlor er das Bewusstsein. Ich erinnere mich noch gut daran. Ich hatte zerstreut in die Messingschale gestarrt, in der der schwarze Klumpen Ohrenschmalz trieb, und als ich dem Schriftsteller wieder ins Gesicht sah, kippte er einfach vornüber. Als Arzt denkt man hin und wieder darüber nach, wie man sich in einer bestimmten Situation verhalten würde. Wem man zuerst helfen würde zum Beispiel. Jeder Arzt stellt sich irgendwann diese Frage, auch wenn wir es alle leugnen. Es sind im Grunde einfache Abwägungen, über die man allerdings nie laut redet. Der dreifache Familienvater hat mehr Anspruch auf Hilfe als ein Schriftsteller, dessen Œuvre so gut wie abgeschlossen ist, der seinen Höhepunkt überschritten hat, wie man so sagt. Frauen und Kinder verlassen als Erste das sinkende Schiff. In einer idealen Welt überlässt der Greis den Platz im Rettungsboot der jungen Mutter mit Kind. Der Alte ist biologisch erschöpft. Es wäre doch jammerschade gewesen, wenn ein bildhübsches Mädchen, das den weiten Weg von Lettland nach Frankreich zurückgelegt hatte, auf einem fremden Strand an einer Alkoholvergiftung sterben würde. Ich wusste, wie das, was ich tat, für die Umstehenden aussah. Die Leute, die gerade erst dazugekommen waren und keineAhnung hatten, was vorgefallen war, sahen nicht den Arzt, der eine lebensrettende Handlung verrichtete, sondern einen Mann mittleren Alters, der sich über ein Mädchen beugte und seine Lippen auf ihren Mund presste. Während seine Hand auf ihrem Bauch lag …
Ich hielt ihre Nase zu und blies Luft in ihre Lungen, gleichzeitig drückte ich kräftig auf ihren Unterleib. Der Mageninhalt kam mir sofort entgegen. Ich hatte nicht einmal mehr Zeit, den Kopf zurückzuziehen. Ein Schwall Wodka schwappte mir in den Mund. Und nicht nur Wodka. Ein ganzes Gebräu aus hochprozentigem Alkohol, halb verdauten Essensresten und Magensäften. Ich spuckte alles aus und zog das Mädchen rasch etwas hoch, damit es nicht an seinem eigenen Erbrochenen erstickte. Der restliche Mageninhalt ergoss sich über ihren Bauch und ihre Beine, aber sie öffnete immerhin die Augen und gab Laute von sich, die an das Geräusch eines verstopften Abflusses erinnerten, der wieder frei wird. Dann folgten Wörter. Wohl in ihrer Sprache. Lettisch. Ich richtete mich auf und hielt ihre Arme an den Handgelenken in die Höhe. Es war wichtig, dass sie jetzt möglichst viel Sauerstoff bekam. Ein paar der Männer, die gerade noch Ralph, Stanley und mich in Schach gehalten hatten, fingen an zu klatschen. Normalerweise ist das immer der schönste Moment. Der Arzt hat soeben ein Leben gerettet. Ein paar Minuten steht er im Rampenlicht. Der dreifache Familienvater brachte mir am nächsten Tag eine Flasche Wein. Es hätte schlimm ausgehen können, denken sie. Danach vergessen sie einen wieder.
Die Leute machten mir Platz, als ich mit lädiertem linkem Auge Richtung Restaurant stapfte. Einige klopften mir auf die Schulter, einer hielt den Daumen in die Höhe und zwinkerte mir zu. In verschiedenen Sprachen wurden anerkennende Worte gerufen. Aber ich wurde zunehmend von einer quälenden Unruhe gepackt. Ich war vielleicht zu leichtfertig darüber hinweggegangen, wurde mir jetzt klar, dass meine dreizehnjährige Tochter mit einem fünfzehnjährigen Jungen zu einer Strandbar anderthalb Kilometer von uns entfernt gegangen war. Obwohl ich mich darüber geärgert hatte, dass Ralph Alex und Julia einfach seine Erlaubnis gegeben hatte, hatte ich kein Spielverderber sein wollen. Ich hatte das Ganze, ehrlich gesagt,
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