Sommerhaus mit Swimmingpool
gleich wieder vergessen. Ich hatte – es fiel mir nicht leicht, mir das einzugestehen – anderes zu tun gehabt, als mir darüber Gedanken zu machen, dass meine Tochter im Dunkeln wer weiß wohin gegangen war. Ich versuchte, meine Fantasie in Schach zu halten. Zuerst musste ich mich um mein inzwischen schmerzhaft pochendes Auge kümmern, sagte ich mir, sonst war ich zu nichts zu gebrauchen. Aber als ich auf der Toilette vor dem Spiegel stand, öffnete die Fantasie alle Schleusen. Ich dachte an die Dinge, an die jeder Vater irgendwann denkt, jeder Vater einer Tochter zumindest. Der dunkle Strand. Das dunkle Stück im Park auf dem Heimweg nach dem Schulfest. Es waren ziemlich viele betrunkene Männer unterwegs heute Abend. Ich dachte an Alex, von dem meiner Tochter wahrscheinlich keine Gefahr drohte. Es war ein braver, phlegmatischer Junge, der gerne ihre Hand festhielt – und wer weiß, vielleicht noch mehr. Er war jedenfalls viel zu schwach und zu träge, um sie zu beschützen, wenn irgendwelche betrunkenen Typen sich an sie heranmachten. Irgendwo auf dem dunklen Stück des Strands oder bei der anderen Strandbar. An andere Dinge dachte ich nicht. Es kam mir unwahrscheinlich vor, dass sich Julia genauso gehen lassen würde wie das Wodkamädchen aus Lettland. Wenn wir im Urlaub in einem Restaurant waren, durfte sie von unserem Wein oder Bier kosten, aber eigentlich machte sie sich nichts aus Alkohol. Sie setzte das Glas an die Lippen und verzog das Gesicht, als würde sie es nur uns zuliebe tun. Nein, ich dachte hauptsächlich an die betrunkenen, notgeilen Kerle, die ein dreizehnjähriges Mädchen als leichte Beute betrachteten. Dreckige Kerle. Typen wie Ralph, durchzuckte es mich.
Und ich dachte an Caroline. Wie gesagt spiele ich oft die Rolle des Vaters, der alles erlaubt – nun, vielleicht nicht alles, aber auf jeden Fall mehr als die allzu besorgte Mutter. Wenn wir zu zweit sind, ist das kein Problem, aber sobald ich allein bin, gerate ich in Panik. Auf einer Terrasse oder in einem Kaufhaus, am Strand! – überall dort, wo viele oder gerade wenige Leute sind, Orte mit schummrigem Licht, schaue ich mich öfter um, ob sie noch da sind. Im Moment etwas weniger als zu der Zeit, als sie noch klein waren, aber trotzdem … Die Panik hat zwei Gesichter. Das erste Gesicht ist die gewöhnliche Angst, dass im nächsten Moment etwas passieren könnte: ein Ball, der auf eine stark befahrene Straße rollt, ein Kinderverführer, eine hohe Welle, die das Kind aufs offene Meer hinausträgt. Das zweite Gesicht ist das von Caroline, die sagt: Warum hast du nicht aufgepasst? Wie konntest du sie bei dem Verkehr nur eine Sekunde aus den Augen lassen? Ich habe mich manchmal gefragt, ob ich auch als alleinerziehender Vater so übertrieben besorgt gewesen wäre. Als Witwer . Aber dieses Wort beendete meine Gedankenspiele auf der Stelle. Der Gedanke allein schon war so unerträglich, dass meine Fantasie hier einfach aufhörte.
Ich hörte jetzt Carolines Stimme. Wie konntest du sie allein mit diesem Jungen zu der Strandbar gehen lassen? Ich sah in den Spiegel. Mein Auge war blutunterlaufen. Ich konnte nichts dafür , formulierte ich in Gedanken meine Antwort . Als ich ankam, waren sie schon weg. Ralph und Judith haben es ihnen erlaubt .
Es war eine ziemlich schwache Rechtfertigung, wie ich wusste. Völlig läppisch.
Noch bevor Carolines Stimme den nächsten Satz aussprechen konnte – Wenn ich dabei gewesen wäre, dann wäre das alles nicht passiert –, stand mein Entschluss fest.
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30
Natürlich versuchte ich zuerst, Julia über ihr Handy zu erreichen, das sie vor einem Jahr von uns bekommen hatte, als sie von der Grundschule aufs Gymnasium wechselte. Für ihre Sicherheit, dann kann sie uns immer anrufen und wir sie – dachten wir. Doch von Anfang an ging sie mit dem Handy um, wie es ihr gerade passte. Wenn wir sie nicht erreichen konnten, redete sie sich heraus: Es war wohl in meiner Schultasche, ich habe das Klingeln nicht gehört, oder: Der Akku war leer.
Daher überraschte es mich auch nicht, als nach dreimal Klingeln die Mailbox dranging. Es war sinnlos, eine Nachricht zu hinterlassen, Julia hörte ihre Mailbox nie ab. Gut möglich, dass sie ihr Handy nicht dabeihatte, dass sie es im Sommerhaus hatte liegen lassen. Und wenn sie es bei sich hatte, dann hatte sie gerade an diesem Abend allen Grund, es nicht einzuschalten. Mit einem netten Jungen am Strand unter den Sternen, welches dreizehnjährige Mädchen
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