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Sommerhaus mit Swimmingpool

Sommerhaus mit Swimmingpool

Titel: Sommerhaus mit Swimmingpool Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch , Pößneck GGP Media GmbH
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sehen. Ich brauchte nur einen Schritt zu tun, einen Schritt, und ich würde meine Hände in ihrem Haar begraben, meine Lippen auf ihren Mund pressen und weiter nach unten wandern lassen – wir würden uns zuerst auf die Knie fallen lassen, der Rest würde sich von selber ergeben.
    »Manchmal, ab und zu, habe ich Angst vor ihm«, sagte Judith leise. »Wir streiten uns, und dann sehe ich es auf einmal in seinen Augen: Jetzt wird er mich schlagen. Wohlgemerkt, er hat mich noch nie angerührt. Ja, er hat schon ganze Porzellanservice an die Wand geschmissen, aber geschlagen hat er mich nie. Ich sehe es aber in seinen Augen. In Gedanken schlägt er mich jetzt, denke ich. In Gedanken prügelt er mich jetzt windelweich.«
    »Okay«, sagte ich, aber das erschien mir etwas zu wenig. »Solange er es nur in Gedanken tut, ist es nicht so schlimm«, fügte ich hinzu.
    Judith seufzte tief. Sie fasste mich am Handgelenk. Ich widerstand der Versuchung, sie auf der Stelle an mich zu reißen.
    »Nein, aber man ist doch auf der Hut«, sagte sie. »Ich habe immer das Gefühl, es könnte eines Tages wirklich passieren. Dass er die Beherrschung verliert und mir plötzlich ins Gesicht schlägt. Ich glaube manchmal, er weiß es. Dass ich das denke, meine ich. Und dass es deshalb noch nicht passiert ist.«
    »Und habt ihr mal darüber geredet? Ich meine, ist es nicht besser, wenn man so was zur Sprache bringt? Bevor es passiert, meine ich.«
    Ich redete einfach so ins Blaue hinein. Letztlich interessierte mich das Ganze nicht die Bohne. Doch das durfte ich natürlich nicht durchscheinen lassen. Ich musste weiterhin den interessierten, verständnisvollen Mann mimen. Aufrichtige Anteilnahme heucheln. Nur der verständnisvolle Mann bekommt, worauf er ein Anrecht hat.
    »Was meinst du?«, fragte Judith. »Ist Ralph zu Gewalttätigkeit fähig?«
    Ich dachte an das norwegische Mädchen, dem er vor noch nicht einmal einer Stunde einen Tritt in den Magen verpassen wollte. Ich hörte ihn wieder dreckiges Flittchen rufen.
    »Nein, kaum«, sagte ich und fasste meinerseits Judith am Handgelenk. »Ich meine, Ralph hat einen Überschuss an Energie. So jemand kann manchmal explodieren. Er muss Dampf ablassen. Aber ich glaube, dafür sorgt er schon rechtzeitig. So wie er ist, meine ich – so wie er sich in alles reinstürzt. Gewalt gegen Frauen, gegen seine eigene Frau, gehört meiner Meinung nach nicht dazu.« Ich streichelte ihr Handgelenk mit dem Daumen. »Dafür ist er viel zu gutmütig«, setzte ich noch eins drauf.
    »Mama.«
    Wir hatten Alex nicht kommen sehen. Er stand auf einmal ein paar Meter vor uns.
    Judith und ich ließen gleichzeitig unsere Hände los. Zu schnell, dachte ich. Auf frischer Tat ertappt.
    »Hallo, Alex«, sagte Judith.
    »Mama …«
    Er kam noch zwei Schritte näher. Ein paar blonde Haarsträhnen hingen ihm vor den Augen. Trotz der Dunkelheit glaubte ich etwas auf seinem Gesicht blinken zu sehen. Etwas Feuchtes? Schweiß? Tränen?
    »Wo ist Julia?«, fragte Judith.
    »Mama …«, sagte er nochmals; ich hörte es an seiner Stimme, er weinte. Er machte noch einen Schritt auf seine Mutter zu und schlang dann die Arme um ihren Hals. Er war fast so groß wie sie. Judith fasste ihn mit einer Hand am Kopf und drückte ihn an sich. »Alex, was ist? Wo ist Julia?«

[Menü]
31
    Wo ist Julia? Bis zu dieser Stelle spule ich mein Leben zurück. Weiter zurückzuspulen ist sinnlos. Was ich sähe, wäre ein Strand und ein Sommerhaus, ein Swimmingpool und Raketen, Schwertfischsteaks, die auf dem Rost eines Grills brutzeln. Ganz normale Urlaubsfotos. Fotos ohne doppelten Boden. Ohne Aussagekraft. Ab der Frage Wo ist Julia? geht es nur noch vorwärts. Die banalen Urlaubsfotos wurden durch die nachfolgenden Ereignisse nicht bedeutungsvoller – ich wollte sie einfach nie mehr sehen.
    »Was ist passiert, Alex?«, fragte Judith und drückte ihn an sich. Er gab keine Antwort, schluchzte nur leise.
    Ich will nachträglich nichts beschönigen. Ich habe getan, was ich getan habe. Beim nächsten Mal würde ich alles genauso machen, sagen die Leute, die ihr überstürztes Handeln rechtfertigen wollen. Ich nicht. Ich würde alles anders machen. Alles.
    »Wo ist meine Tochter, verdammt noch mal?«, schrie ich, packte Alex am Arm und riss ihn aus der Umarmung seiner Mutter. »Was hast du mit ihr gemacht, du Dreckskerl?«
    »Marc!«
    Judith fasste ihren Sohn am Handgelenk und zerrte an ihm.
    »Du«, sagte ich plötzlich eiskalt, »du hältst die

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