Sommerhit: Roman (German Edition)
niemals welche. Ganz im Gegenteil. Vielleicht hätte sie bei Stay-Enemies oder Stay-Assholes nachschauen sollen.
Die Wartezeit bis zur Eröffnungsrede und meinem anschließend geplanten Auftritt hatte ich am Getränketisch verbracht, die Anwesenden beobachtend. Wenn jemand ankam, um ein paar Worte mit mir zu wechseln, bat ich darum, mich später heimzusuchen, und entschuldigte das mit der Konzentrationsphase vor dem Gig. Die beiden anderen Sabines von
den Sabines drei
versuchten es, aufgetakelte Tanten in wallenden, bodenlangen Kleidern, die fortwährend kicherten und mental im Gymnasialalter stehen geblieben waren.
Nach der ersten Begrüßung wurde es unruhig, niemand schien zu wissen, wie es weitergehen sollte; Sabine stand untätig auf der Bühne, die Hände vor dem Bauch gefaltet. Ich nutzte die Gelegenheit, um zu ihrem Tischchen zu schleichen und mir das Namensschild von Falk Lutter zu schnappen. In diesem Augenblick betrat Lutz Bährmann den Saal. Da alle anderen zur Bühne schauten, war ich der Einzige, der das bemerkte.
Er musste in den Sechzigern sein, hatte sich aber gut gehalten. Der deutlichste Unterschied zu früher bestand in einer starken Hornbrille. Seine Haare waren grau, aber immer noch voll und lang, ansonsten sah er aus wie der Lehrer, den ich in Erinnerung hatte: faltig inzwischen, aber rüstig. Er hatte Ähnlichkeit mit dem Bastelzombie Jean Pütz. Bährmann blieb im Bereich der Tür stehen, sah kurz zu mir, dann zu den ehemaligen Schülern und schließlich wieder zu mir.
»Martin Gold«, sagte er nickend.
»Lutz Bährmann«, entwischte es meinem Mund. Ich konnte einfach nicht anders.
Er stutzte. »Waren Sie auch mein Schüler? Ich kann mich nicht erinnern.«
Inzwischen war Sabine von Gerry abgelöst worden, der in seinem Neunziger-Sprech, vermischt mit Versicherungsvertreterrhetorik, ein paar Witze machte und den weiteren Ablauf des Abends erklärte. Als er davon sprach, dass es ihm gelungen wäre, den bekannten Sänger Martin Gold zu einem Überraschungsauftritt zu bewegen, wurde applaudiert. Die Gäste drehten sich zu mir um, ich deutete eine Verneigung an. Einige Schüler entdeckten Bährmann; Henning und Thomas lösten sich aus der Versammlung und hielten auf uns zu; Thomas selbstbewusst grinsend voran, der große Henning wie ein Kleinkind hinterherschlurfend.
»Eher nicht«, antwortete ich endlich in Bährmanns Richtung.
»Und woher wissen Sie dann, wer ich bin?«
Ich zuckte mit den Schultern und ging zur Bühne. Gerry blieb, bis ich sie erreicht hatte, schüttelte mir abermals lange die Hand und grinste dabei, als wären wir alte Freunde. Die Leute klatschten ein bisschen, ich nahm meine Gitarre aus den Händen des DJs und setzte mich auf den bereitstehenden Barhocker. Dann spielte ich fünf Songs, endete mit »Cool sein«, ein paar Gäste sangen mit, und zwei oder drei, darunter die rothaarige Sabine, präsentierten sogar den Clubtanz. Für die Darbietung waren sie alle – inzwischen um die fünfzig Leute – nahe an die Bühne gerückt, wodurch ich die Gelegenheit bekam, nach bekannten Gesichtern zu forschen. Ich entdeckte Heiko, zwei Martins, Harald und Martina, die damals mit Chrissie im See gebadet hatte. Lutz Bährmann stand seitlich von der Bühne und musterte mich hochkonzentriert. Ab und zu flüsterte er mit Gerry und Thomas, die ihn zu bedrängen schienen. Er sah nicht glücklich aus.
Nach meinem Auftritt bestieg Gerald abermals die Bühne und startete die Vorher-Nachher-PowerPoint-Präsentation, für die Sabine per Mail um Fotos gebeten hatte. Dazu spielte der DJ wieder Achtziger-Mucke. Auf der Leinwand erschienen Kindheits- und Jetztzeit-Bilder, Fotos vom Nachwuchs, von Häusern, Autos, Booten, Gärten, Stränden, Bergen, und immer irgendwo dazwischen, daneben oder davor einer meiner ehemaligen Mitschüler, mal gut erkennbar und mal – häufiger – kaum noch Ähnlichkeit mit seinem Jugend-Alter-Ego aufweisend. Aus der Gymnasialzeit wurden kaum Fotos gezeigt, was mich nicht sonderlich erstaunte, und kein einziges von jener Klassenreise, aber ich spürte deutlich, dass alle angstvoll auf die Projektionsfläche glotzten und ein Foto erwarteten, das Herrn Bonker zeigte, Frau Erdt oder den Bauernhof im Elsass. Nichts. Nach dem ersten Durchlauf der knapp dreihundert Folien wich die Anspannung, die Gespräche wurdenlauter, Flaschen und Gläser klirrten. Das Moratorium war besiegelt.
»Das muss schrecklich langweilig für Sie sein«, sagte Tine.
»Ganz im
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