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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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anderen Kids erwachten aus ihrem Nintendo-Dämmer und beteiligten sich. Keiner interessierte sich für das, was ich machte, ein verzeihlicher Umstand, aber alle wollten wissen, wie viel Kohle man einsackte und wie es war, ein berühmter Mensch zu sein. Ob man weniger arbeiten müsse, wozu ich energisch den Kopf schüttelte.
    »Hier sind Sie!«, verkündete Gerry plötzlich und legte mir kumpelhaft eine Hand auf die Schulter. »Im Akneghetto.« Er lachte meckernd, die Jugendlichen wandten sich sofort wieder ihren Spielzeugen zu. »Kommen Sie, ich muss Sie den anderen vorstellen.«
    Ich widerstand der Versuchung, seine Hand von meiner Schulter zu wischen. Es war widerlich, von diesem Gesellen berührt zu werden. Skurrilerweise trug er selbst die Verantwortung dafür, dass ich nicht dazu in der Lage war, ihn voller Abscheu anzusehen. Er war Ursache für die potentielle Mimik und zugleich ihr Verhinderer.
    »Bis später«, sagte ich. Das Mädchen nickte kurz, die anderen ersparten sich eine Reaktion, drückten Tasten und kehrten zurück in ihre autistischen Universen.
    Gerald führte mich zu einer Gruppe, die aus Thomas, Henning und zwei Frauen bestand. Obwohl ich geglaubt hatte, auf diese unvermeidliche Situation vorbereitet zu sein, bekam ich eine Gänsehaut und verspürte einen Anflug von Panik. Hier standen sie, Thomas und Gerry breit grinsend, Henning schaute eher unglücklich drein – meine Jäger, das Triumvirat, die Zöglinge von Herrn Bährmann, die Anführer, Schänder, Mörder. Mein Leben lang hatte ich mich vor diesem Moment gefürchtet, wie mir jetzt klar wurde, ihn aber auch herbeigesehnt.
    Thomas hatte sich nur wenig verändert, von den erwartungsgemäßen Alterserscheinungen abgesehen. Seine dunklen Augen standen vielleicht noch etwas dichter zusammen, waren von deutlichen Ringen umgeben. Seine Physiognomie glich ansonsten weitgehend derjenigen von früher: Sein Oberkörper wirkte ein wenig schmaler als damals, seine Gesichtshaut spannte, schimmerte leicht und war erkennbar solariumgeschädigt. Verblüfft stellte ich fest, dass ihm neben dem typischen Geruch von Taxifahrern das Kakaoaroma noch immer anhaftete. Entweder lebte er nach wie vor in dieser Gegend– oder war in eine umgezogen, in der es ebenfalls eine Schokoladenfabrik gab. Zu Thomas hatte György nichts gefunden, weil die Zeit nicht ausgereicht hatte, um allen infrage kommenden Personen mit dem originellen Namen Thomas Müller hinterherzuforschen.
    Henning dagegen wies deutliche Unterschiede zu seiner früheren Erscheinung auf. Ich mutmaßte, dass er Jahre in einer Muckibude verbracht hatte, denn sein damals schon mächtiger, muskulöser Körper war noch ausgeprägter, allerdings mittlerweile auf eine lächerliche Art – wie bei allen Pumpern, die aufhörten oder einfach nur älter wurden. Am Hals und den freien Unterarmen traten die Sehnen deutlich hervor, umgeben von Fleisch, das nicht mehr Muskel sein wollte.
    Henning hatte mal richtig gut ausgesehen, jetzt ähnelte er Popeye. Seine wenigen Haare waren kurz geschoren, seine leicht abstehenden Ohren und die Nase waren stark gewachsen, er trug zwei Narben auf der Stirn und die streichholzschachtelgroßen, dunkelroten Überbleibsel einer Verbrennung zweiten Grades auf der linken Wange – Markierungen, die ein Verkehrsunfall hinterlassen hatte, den er verschuldet hatte. Zwei Schwerverletzte, einer davon ein zehn Jahre altes Kind.
    Ich schüttelte widerstrebend die Hände und ließ es über mich ergehen, Susi und Berit vorgestellt zu werden, den aufgedonnerten Frauen der beiden. Während Thomas meine Hand hielt, musterte er mich aufmerksam, sah mir lange und intensiv in die Augen. Das tat er auch noch, als ich bereits Hennings Pranke, die Hand desjenigen, der mein Gesicht zerschnitten hatte, anzufassen genötigt wurde; Henning wirkte als Einziger der drei unsicher, wie ein Zuschauer, der unfreiwillig auf eine Bühne gezogen worden war, um vor großem Publikum lächerlich gemacht zu werden. Etwas in seinem Blick verriet, dass er auf der richtigen Spur war, und dass er nicht zurLösung kam, war dem Umstand zu verdanken, dass er und seinesgleichen mich und meinesgleichen nie intensiver wahrgenommen hatten als einen vertrockneten Kaugummi unter dem Pult im Klassenzimmer. Während Berit, Thomas’ Gattin, leise etwas wie »Es ist eine Ehre, Sie kennenzulernen« nuschelte, entspannte sich sein Gesichtsausdruck; der Gedanke war ad acta gelegt. Ich atmete tief durch und entdeckte mit einem

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