Sommerhit: Roman (German Edition)
mir bestenfalls noch die Zähne putzen.
Meine Eltern sagten nicht viel, aber sie beobachteten einander, als gäbe es da etwas, das sie nach siebzehn Jahren Ehe plötzlich entdeckt hatten, und sie berührten sich oft, sehr viel häufiger, als ich das ohnehin von ihnen gewohnt war. Sie waren sowieso Menschen, die die körperliche Nähe des anderen suchten, aber an diesem Abend hatte es eine besondere Qualität, etwas tatsächlich Suchendes, das fiel sogar mir auf. Ich beobachtete sie und erfreute mich daran, zugleich machte ich mir diffuse Sorgen. Aber sie schwiegen, und nachdem ich kurz meine ersten Eindrücke vom See berichtet hatte, blieb es am Klapptisch still, unterbrochen nur vom Klackern der Aluminiumlöffel auf dem Plastegeschirr.
Danach stieg Papa in den 601 und fuhr davon. Er wollte versuchen, irgendwo ein Telefon zu finden, um bei Tante Cordi anzurufen, seiner Schwester, bei der sich Sonja befinden sollte.Ich gab Mama einen Gutenachtkuss und kroch in mein Zelt, in dem es noch hell genug zum Lesen war, weil eine der Lampen, die den Weg zu den Toiletten beleuchteten, direkt neben unseren Zelten stand, und schlug »Als die Götter starben« von Günther Krupkat auf, ein Buch, in dem es um Außerirdische ging, die Tonbänder und Filme auf dem Mond Phobos hinterlassen hatten und von denen man jetzt annahm, sie wären die Ursache für die menschliche Zivilisation. Der Roman war leidlich spannend, aber vieles daran gefiel mir nicht, vor allem der Ton, in dem Krupkat erzählte, der mich stark an den Staatsbürgerkundeunterricht bei Herrn Kosczyk erinnerte. Außerdem war ich sicher, dass es all die Technik, die in dem Buch genannt wurde, längst in sehr viel besserer Form gab.
Im Westen
, ergänzte ich und überraschte mich mit diesem Gedanken.
Ich schaffte nur zwei Seiten, dann war ich eingeschlafen, aber ich erwachte wieder, weil ich das vertraute Dänngderänng unseres 601 hörte, das kurz darauf direkt vor meinem Zelt erstarb.
»Dieser Mensch wollte mich nicht wieder auf den Platz lassen«, sagte Papa laut, als er die Tür hinter sich zugeworfen hatte, gleich darauf hörte ich Mama, die zischend etwas sagte, vermutlich wies sie ihn darauf hin, dass ich bereits schlief. Ich steckte meinen Kopf aus dem Zelt. Es roch nach verbranntem Grillfleisch und Letscho, überall vor den Zelten, Wohnwagen und -mobilen saßen Leute, aßen, tranken, rauchten, prosteten einander zu und schwatzten laut miteinander, dazu gab es Musik aus Dutzenden Quellen, und in Richtung Ausgang konnte ich das Flackern der Glühlampen an den Karussells sehen. Von dort duftete es nach Zuckerwatte, ein Geruch, der mir sofort Appetit machte.
Und dann sah ich Mama und Papa. Sie hatten mich noch nicht bemerkt, sie standen links vor mir, in zwei Meter Entfernung,engumschlungen, beide hielten die Augen geschlossen und weinten zugleich. Mamas Schultern zuckten, aus ihrer Nase lief der Schnodder, und Papas rechte Hand strich ihr immer und immer wieder über den Kopf, als wolle er etwas besonders Hartnäckiges wegwischen. Mit der anderen Hand hielt er ihre Hüfte fest umklammert, und ich fühlte sicher, dass Mama einfach umgefallen wäre, hätte er das nicht getan. Ihre Arme hingen zu den Seiten herunter, die Hände weit geöffnet, als hätte sie gerade etwas fallen lassen.
»Ich versuche es morgen noch mal«, sagte mein Vater leise. »Vielleicht ist sie morgen angekommen.«
Mama schluchzte nur laut, und ich zog meinen Kopf zurück. Ich wollte nicht, dass sie merkten, wie ich sie beobachtete. Während ich leise die Schnüre vor dem Eingang verknotete, hörte ich, dass Papa noch etwas sagte:
»Ich werde sie schon finden, spätestens, wenn ich zurückkehre.«
Am Morgen danach war ich nicht sicher, ob ich die Szene doch vielleicht nur geträumt hatte. Beim Frühstück wirkten Mama und Papa ziemlich entspannt, beide trugen leichte Kleidung, sie ein luftiges, gelbes Sommerkleid, das in der Mitte ihrer Oberschenkel endete, mein Vater kurze, blaue Hosen und ein kurzärmliges, weißes Baumwollhemd, dazu seine Sonnenbrille, die Fahrertür des 601 war geöffnet, und aus dem Autoradio war leise ungarische Volksmusik zu hören. Ich nahm wahr, dass ihnen heute wieder dieser Duft anhaftete, erstmals seit fast zwei Monaten. Meine Mutter lächelte, als sie mir den Malzkaffee anrührte, dann hielt sie in der Bewegung inne.
»Möchtest du vielleicht einen Röstkaffee, Falki?«
Ich stutzte, die Schwarzbrotscheibe mit Honig befand sich auf halbem Weg zu meinem
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