Sommerhit: Roman (German Edition)
schweifen. »Einige, aber die meisten sind wohl aus dem Bundesgebiet.«
Ich stutzte. Bundesgebiet.
»Aber«, begann sie und lächelte mich auf eine Art an, die ich erst Jahre später einzuordnen lernte, »du bist mein erster Ostdeutscher.«
Manfred und Susanne erhoben sich. Der Nachmittag war weit fortgeschritten, ich verspürte Hunger. Mama verabschiedete sich von den beiden und holte den Gaskocher aus dem Auto, zwei Gläser mit Bohnensuppe und einen von Jürgens Alutöpfen.
»Es gibt bald Essen«, sagte sie, zu mir gewandt. »Halbe Stunde.«
»Warst du schon am See?«, fragte Karen.
Ich schüttelte den Kopf. Sie hielt mir mit großer Selbstverständlichkeit eine Hand entgegen, und dann zogen wir einander in die Höhe. Ihre Hand war weich, die Intensität ihres Drucks und die Art, wie mich Karen dabei ansah, verwirrten mich.
Auf der anderen Seite der Landstraße standen schmuddelige Einfamilienhäuser in schmalen Gärten, zwischen denen ein Fußweg hindurchführte, ein sandig-grasiger Streifen mit verblühenden Gänseblümchen, Pusteblumen und welkem Heidekraut. Zu allem anderen – und das war viel – mischte sich ein Geruch, der mich an Jürgens Hof erinnerte, und bald sah ich auch die Ursache – vereinzelt lagen breitgetretene Pferdeäpfel herum, und ich erwartete, dass mir diese riesigen Tiere entgegenkämen, vor denen ich enorme Hochachtung hatte, aber das geschah nicht.
Nach kurzer Zeit gelangten wir an den Strand, der mich auf den ersten Blick fast maßlos enttäuschte. Ich hatte zwar schon Fotos vom Balaton gesehen, aber irgendwie immer noch Sandstrände erwartet, karibische Verhältnisse wie auf Kuba, wo die Schultes mal gewesen waren, vor einigen Jahren und lange vor ihrem Verschwinden. Statt eines Sandstrands betraten wir eine großflächige, dicht bevölkerte Wiese, dessen braungrünes Gras mit Decken, Handtüchern, Luftmatratzen und einigem Müll übersät war. An mehreren Stellen hatte das Gras den Kampf gegen die vielen Badetouristen verloren. Die Wiese mündete in eine leicht geneigte Böschung, und dahinter lag er dann, der »große Tümpel«, wie ihn Manfred nannte – der Plattensee.
Der Geruch, den ich schon während der Fahrt wahrgenommen hatte, war hier von großer Intensität, aber am Strand, der ja nur eine Wiese war, lagen so viele Düfte in der Luft, dass er zu einer starken Komponente unter vielen wurde. Es warungeheuer warm, und ich wusste, dass ich deutlich schwitzte, schließlich trug ich noch immer die Sachen, die ich kurz vor der Abfahrt angezogen hatte, und leider keine Badehose. Im Wasser standen viele Menschen, spielten Ball, einige lagen auf Luftmatratzen. Die Gruppe zog sich weit ins Wasser hinein, aber selbst in ein-, zweihundert Meter Entfernung vom Ufer reichte ihnen der See nicht einmal bis zur Hüfte.
»Man muss ganz schön weit raus, um zu schwimmen«, sagte Karen, und ich versuchte, das »raus« so, wie sie es aussprach, im Geist zu wiederholen. »Hast du eine Badehose unter?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Na, für Nacktbaden ist es noch zu hell«, sagte sie, zwinkerte mir zu und ging dann zu einer Gruppe, die auf grellfarbenen Handtüchern saß und Karten spielte.
So lernte ich Tobi, Hans und Sabine kennen, aber nur kurz, denn mein Magen rumorte, und der Bohneneintopf war sicher fast schon heiß. Als mich Tobi, ein Schlaks mit einer Brust, die fast so schmal wie die meines Vaters war, für morgen dazu einlud, mit ihnen den Tag am Strand zu verbringen, spürte ich Stolz, Angst – und errötete. Die vier lachten freundlich.
»Du musst keine Angst vor uns haben«, sagte Hans, der selbst im Vergleich zu mir richtig dick war. »Und die Stasi kann dir hier auch nichts.« Dabei hielt er eine kleine Flasche hoch und prostete mir zu.
D.I.S.C.O. (1980)
Das Abendessen verlief still, wenn man die Geräuschkulisse ignorierte, die der Zeltplatz unvermindert produzierte. An unserem Standort defilierte schon seit einer Weile ein Strom von Menschen vorbei, die Badelatschen an den Füßen und Kulturbeutel unter den Armen trugen, dazu Handtücher über der Schulter. Ich hatte auch geduscht, fühlte mich aber nicht deutlich sauberer – das Wasser war lauwarm und blieb es auch, ganz egal, in welche Richtung man die beiden quietschenden Hähne verdrehte. Das ganze Waschhaus widersprach in jeder Hinsicht seinem Namen, und ich freute mich darauf, ab morgen im Plattensee baden zu können, dem großen Tümpel dreihundert Meter hinter mir. Hier, beschloss ich, würde ich
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