Sommerhit: Roman (German Edition)
Mund. Kurz blickte ich zu meinem Vater, der langsam nickte; seine Augen waren nicht zu sehen.
»Richtigen Kaffee?«, fragte ich zurück.
»Wenn du möchtest.«
»Oh.« Ich war verblüfft. Sonja hatte das erst mit sechzehn gedurft, und auch nur nach langem Gerangel. »Gerne«, antwortete ich hastig. Mama nickte, schob die Tasse »im nu« beiseite und goss mir ein. Richtigen Kaffee!
Papa räusperte sich. »Wir finden, dass du den Urlaub genießen sollst. Such dir Freunde, hab ein bisschen Spaß. Du bist alt genug.« Er erhob sich halb aus dem Klappstuhl und zog etwas aus der Gesäßtasche, das er vor mir auf dem Tisch ablegte. Ich musste zweimal hinsehen, um es zu erkennen – ein Fünfzigmarkschein. Nicht DDR-Mark, sondern
Westmark
. Ich zwinkerte, aber der große, braune Schein lag immer noch da.
Mama beobachtete mich lächelnd, aber ich wagte es einfach nicht, das Stück Papier anzufassen, das so viel mehr wert war als unser Geld, vor allem hier, wo DDR-Bürger, Menschen aus dem befreundeten sozialistischen Ausland, zu lachhaften Kursen umtauschen mussten, während man für Westmark so viele Forint bekam, dass man sie kaum ausgeben konnte, wie mir Karen gestern erzählt hatte.
Wo habt ihr das her?
, wollte ich fragen, aber bevor ich das konnte, kam es noch dicker.
»Wir müssen nicht die ganze Zeit aufeinanderhocken«, fuhr Papa fort. »Sag uns einfach, wo du hingehst. Und es wäre schön, wenn du vor Mitternacht wieder hier wärst. Es gibt eine Disko am Strand in Richtung Siófok, da gehen die ganzen jungen Leute hin. Die Karussells sind ja wohl eher was für kleine Kinder.« Er nahm die Brille ab. »Das Bier hier ist nicht sehr stark, aber nach zweien sollte Schluss sein, junger Mann.«
Jetzt
hatte ich das sichere Gefühl, immer noch zu träumen. Vielleicht, nahm ich an, war das Ganze nur eine nächtliche Illusion, die Reise hierher, vorher die Besuche dieser seltsamen Männer, die gruselige Szene am Grenzübergang, der Duft, derStrand ohne Strand, Karen, Walkman und Billieh Dschoh Ell, Karussells, Zuckerwatte, Wohnmobile, fünfzig Westmark und all das.
»Seid ihr …«, begann ich langsam und sah beide nacheinander an, wagte es aber fast nicht, den Satz zu beenden. »Seid ihr verrückt geworden?«, fragte ich schließlich doch. Dabei legte ich endlich die Hand auf den Schein, in der Hoffnung, wenigstens dieses Wunder zu retten, wenn meine Eltern jetzt aus ihrer Trance aufwachten und alles wieder zurücknahmen, was sie mir soeben erlaubt hatten. Mitternacht. Bier. Disko. Unfassbar. Sonja würde durchdrehen, wenn sie das erfuhr.
Mama kam um den Tisch herum und küsste mich auf die Stirn.
»Wir vertrauen dir«, sagte sie. »Du wirst schon keinen Unsinn anstellen. Außerdem« – sie sah Klaus-Peter sehnsuchtsvoll an – »wollen wir auch mal in Ruhe etwas Zeit miteinander verbringen.«
»Nur eines«, schloss mein Vater. »Um Himmels willen keine Zigaretten. Das ist wirklich das Dümmste, was man tun kann.«
Ich schüttelte brav den Kopf und war seltsam froh, dass wenigstens noch ein Verbot übriggeblieben war.
Ich war noch immer vollkommen platt, als ich eine halbe Stunde später über den Platz wanderte, um Karen zu besuchen. Währenddessen tastete ich alle zehn Sekunden nach dem zusammengerollten Geldschein in meiner Hosentasche. Fast wäre ich überfahren worden, während ich gerade wieder meinen Schatz prüfte. Ich fuhr zusammen, als es direkt vor mir hupte, erst dann bemerkte ich die laute, von vollen Bässen unterstützte Musik.
Vor mir stand ein ulkiges und gleichzeitig wunderschönes Auto, ein roter Wagen ohne Dach, eckig und hochbeinig. Ein Jeep. Aber es war kein Jeep, sondern ein
Suzuki Elljott
, wieich gleich darauf erklärt bekam. Zwei männliche junge Erwachsene saßen darin, einer erhob sich, schob seine Sonnenbrille in die Stirn und lachte mich an. Über die Frontscheibe hinweg brüllte er gegen die laute Musik: »Willst du ’ne Runde mitfahren?«
Ich nickte überrascht, durfte dann in das Auto klettern, nicht durch eine Tür, sondern mit einem Fuß auf den großen Reifen und dann einfach über die Seitenwand hinweg. Neben den Rücksitzen waren zwei große Lautsprecherboxen befestigt, aus denen ich jetzt dasselbe Lied hörte, das mir Karen gestern vorgespielt hatte, den Sommerhit, aber ich bemühte mich nicht, den obskuren Namen der Kapelle – Ottahuan – auszusprechen, weil ich immer noch überzeugt davon war, ihn komplett falsch verstanden zu haben. Es war so laut, dass ich
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