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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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nicht alles mitbekam, was der Beifahrer zu mir sagte, merkte mir aber den Namen des Autos und kapierte auch, dass die beiden sofort erraten hatten, dass ich aus dem Osten kam. Wir fuhren zwei Runden über den Platz, unter großem Hallo der vielen Jugendlichen, aber es gab auch einige ältere Leute, die uns die Fäuste hinterherschüttelten. Es war fantastisch. Als ich den großen Wohnwagen entdeckte, vor dem Manfred und Susanne am Kaffeetisch saßen, tippte ich dem Fahrer auf die Schulter.
    »Jederzeit wieder«, sagte er, als ich herausgeklettert war. Ich nickte weltmännisch und griff abermals nach meinem Geldschein. Fast hätte ich ihn den beiden gezeigt, unterließ es dann aber doch.
    Karen erwartete mich bereits. Als sie mich sah, erhob sie sich aus dem Gras, nahm einen Korb und eine aufgeblasene Luftmatratze, die einen intensiven Plastegeruch verströmte. Sie zog die Stirn in Falten und lächelte mich dabei an. »Ich dachte schon, du kommst überhaupt nicht mehr. Frauen sollte man nicht so lange warten lassen.«
    »Ich bin gerade mit einem Elljott gefahren«, erklärte ich stolz.
    Karen verzog das Gesicht. »Das sind doch Idioten«, sagte sie. Und dann, nach einer Pause. »Immer diese Berliner.«
    Ich zuckte die Schultern. Wir holten meinen Kram, vor allem das Schlauchboot und die beiden stummeligen Holzpaddel, und gingen zum Strand. Auf dem Weg dorthin erzählte ich ihr von meinem Schatz – irgendwem musste ich es erzählen. Karen sah mich seltsam an, und für einen kurzen Augenblick war etwas zwischen uns, eine kaum spürbare Distanz, während sie offenbar überlegte, wie sie darauf reagieren sollte, dass ich so stolz von einer Summe sprach, die sie wahrscheinlich als Taschengeld bekam, vielleicht sogar ein Vielfaches davon.
    »Ich schau mal, ob ich einen guten Kurs für dich bekommen kann«, sagte sie schließlich. »Aber mach dir einfach nicht so viele Gedanken über Geld. Hier ist alles so billig …« Sie hielt inne. Vermutlich wusste sie, dass das für uns nicht stimmte. Wir durften nur 40 Mark pro Tag umtauschen, und es hatte seine Gründe, dass der Kofferraum des 601 mehr Proviant als alles andere enthielt. Andererseits – irgendwoher hatten meine Eltern Westgeld bekommen, und zwar so viel, dass ich eine Summe erhalten hatte, die, in Mark der DDR umgerechnet, höher war als mein jährliches Taschengeld.
    »Mach dir einfach nicht so viele Gedanken«, wiederholte sie, lächelte und sprintete dann über die Landstraße. Ich musste warten, bis ein Konvoi Wohnwagengespanne vorbeigefahren war, und außerdem rutschte mir das Schlauchboot ständig unter dem Arm hervor, weil ich zudem noch meine Tasche und die Paddel trug.
    Meine Badedecke identifizierte mich eindeutig als
Ostdeutschen
, aber meine vier neuen Freunde machten kein Aufhebens darum, sondern taten so, als würden sie mich seit Ewigkeiten kennen und als würden wir nicht aus zwei Ländern kommen, die zwar aneinandergrenzten, von wo allerdingszumindest aus dem einen so gut wie kein Weg in das andere führte.
    Ich lauschte ihren Gesprächen, auch wenn ich nicht alles verstand, vor allem, wenn es um Musik, Kleidung und Fernsehsendungen ging, und versuchte herauszubekommen, ob Tobi oder Hans an Karen oder Sabine interessiert waren. Offenbar stimmte keine der möglichen Optionen. Nach einer Weile widmeten sie sich mir und fragten mich über die Schule, Musik, das Leben in der DDR, die FDJ und vieles andere aus. Ich erzählte, was mir einfiel, und bemerkte dabei, dass Normalität ein seltsames Phänomen ist. Bei vielem, was ich sagte, zogen sie die Augenbrauen hoch oder lachten, etwa, als ich von den zwei Wochen PA – »Praktische Arbeit« – in der siebten Klasse erzählte, während derer ich in einer nach Öl stinkenden, kalten Werkshalle gesessen und Gussgrate von rätselhaften Plasteteilen abgefeilt hatte, manchmal staunten sie auch, oft lauschten sie ernsthaft, aber keine dieser Reaktionen hätte es bei mir gegeben, wenn mir jemand diese Dinge erzählt hätte. Ich überlegte, was ich von meinem Land hielt, und kam zu dem Schluss, dass es einfach mein Land war, die Gegend, in die ich nun mal hineingeboren war, wie das eben bei jedem Menschen so ist, und kaum einer konnte etwas dafür. Ich bewertete das nicht weiter, es war die Realität, in der ich mich befand, eine Realität ohne Alternativen, weshalb ich über Kategorien von Gut und Schlecht in Bezug auf mein Heimatland auch noch nie nachgedacht hatte – abgesehen vielleicht von jenem

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