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Sommerkind

Sommerkind

Titel: Sommerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
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und über die Currituck-Bucht in Richtung Kill Devil Hills fuhren.
    “Um eine Kerze anzuzünden”, fügte Daria im Brustton der Überzeugung hinzu; sie war stolz darauf, die Gedanken ihrer Mutter lesen zu können.
    “Genau. Aber wir wollen auch Pfarrer Macy einen Besuch abstatten.”
    “Warum?”
    “Weil …” Darias Mutter blickte angestrengt auf die Straße und hielt das Lenkrad fest in den Händen. “Weil ich finde, dass das Baby zu uns kommen sollte, wenn sich die Mutter nicht meldet.” Sie streifte Daria mit einem Seitenblick. “Findest du nicht? Immerhin ist sie nur deinetwegen am Leben, meine kleine Daria.”
    Nie war es ihr in den Sinn gekommen, das Kind zu behalten. Doch jetzt schien ihr alles andere undenkbar. Eine kleine Schwester! Beim Anzünden der Kerze würde sie dafür beten, dass die Identität der leiblichen Mutter niemals festgestellt würde. Auch wenn es böse war, sich so etwas zu wünschen.
    St. Esther's hatte keine Gemeinsamkeiten mit der Kirche in Norfolk in Virginia, die Darias Familie das restliche Jahr über besuchte. Dort roch es modrig, und Daria lief immer ein Schauder aus Angst und Ehrfurcht über den Rücken, wenn sie sie betrat. St. Esther's hingegen stand in der Nähe der weiten Bucht von Nag's Head. Diese Kirche war ein großes rechteckiges Gebäude aus Holz, das innen sauber und neu wirkte. Sie war hoch gebaut und luftig, mit großen Fenstern in Deckennähe und Kirchenbänken aus hellem Holz. In einige Fenster war Buntglas eingelassen – ein Kaleidoskop aus in abstrakte Formen geschliffenem Glas, das bunte Lichtstrahlen quer durch das Gotteshaus warf.
    An diesem Nachmittag waren Daria und ihre Mutter die einzigen Besucher in St. Esther's, und als sie über den Holzfußboden zum Opferkerzenstand in der Ecke gingen, kamen Daria ihre Schritte viel zu laut vor. Ihre Mutter nahm den langen Holzstab aus der Wandhalterung, hielt ihn in die Flamme einer Kerze und zündete damit ein weiteres Opferlicht an. Dann übergab sie den Stab an Daria.
    Hier eine Kerze anzuzünden hatte zwar bei Weitem nicht die gleiche Magie wie in ihrer düsteren, höhlengleichen Kirche in Norfolk, aber Daria tat es ihrer Mutter dennoch gleich und entzündete eine Kerze in der unteren Reihe. Dann kniete sie neben ihrer Mom nieder und betete für das Kind.
    Lieber Gott, bitte lass das Baby überleben und gesund sein. Und mach, dass es zu uns kommt.
    Nach dem Gebet verließen die zwei die Kirche durch den Seitenausgang und gingen zu dem angrenzenden kleinen Gebäude, in dem die Büros der beiden Pfarrer sowie jene Räume untergebracht waren, in denen die Veranstaltungen des Feriencamps stattfanden. Sie durchquerten den breiten kühlen Korridor, in dessen gewienertem Holzfußboden sich die Oberlichter spiegelten, und kurz bevor sie das Büro von Pfarrer Macy erreichten, kam er heraus.
    “Hallo Mrs. Cato, hi Daria”, begrüßte er sie mit einem Lächeln. “Was führt euch beide denn hierher?” Er trug ein Hawaiihemd, und sein Haar hatte die Farbe von Strandhafer, wie er auch in Kill Devil Hills wuchs. Er passte gut zu St. Esther's – er war genauso offenherzig und fröhlich wie die Kirche selbst.
    Sue legte den Arm um ihre Tochter. “Erzähl es ihm, Kleines.”
    “Ich habe ein Baby am Strand gefunden”, sagte Daria.
    Pfarrer Macy riss die Augen auf. “Ein Baby?”
    “Ja”, bestätigte Sue Cato. “Daria war so mutig, das Mädchen zu uns nach Hause zu bringen, obwohl es ein Neugeborenes war und die, äh … Nachgeburt noch an ihr dranhing.” Zärtlich zog sie Daria an sich. “Wir würden gern mit Ihnen darüber sprechen, wenn Sie einen Moment Zeit haben.”
    “Aber sicher”, sagte Pfarrer Macy und trat zurück in sein Büro. “Kommt nur rein.”
    Sie folgten ihm in den kleinen Raum. Ein massiver Tisch stand vor dem einzigen großen Fenster. Man konnte direkt auf die Bucht sehen und in der Ferne die hohen goldenen Dünen von Nag's Head erkennen. Der Priester setzte sich lässig auf die Ecke des Tischs, während Daria und ihre Mutter in den beiden Armsesseln gegenüber Platz nahmen. Daria wusste, dass ihr Vater von Pfarrer Macys unbekümmertem Benehmen stets irritiert war. “Er ist viel zu locker”, hatte er einmal gesagt, und sie bezweifelte, dass sich die Priester in Norfolk auf einer Tischecke niederließen. Aber Pfarrer Macy war noch sehr jung; es war erst sein drittes Jahr als Priester und sein zweites in St. Esther's. Sogar Daria fand ihn gut aussehend, mit diesen großen braunen Augen

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