Sommerkind
Windsurfer segelte so dicht an ihnen vorbei, dass sie das Grübchen in seinem Kinn erkennen konnte. “Ich weiß zwar noch nicht, was es zu bedeuten hat”, fuhr sie fort, “aber ich musste über ihr auffälliges Interesse an Shelly nachdenken. Vielleicht war es wirklich nur ein Zufall, und jetzt sieht sie in Shelly eine Art … Tochterersatz. Aber sagen wir mal, es war keiner. Nehmen wir an, sie hat irgendwie herausbekommen, was Shelly während der Rettungsaktion getan hat, und jetzt … keine Ahnung … will sie Rache oder so was.” Sie wusste, dass das nichts als wilde Spekulationen waren, und hörte selbst den Zweifel in ihrer Stimme. “Wie sie jedoch davon erfahren haben will, wenn nur Pete und ich es wussten, ist mir ein Rätsel.”
“Also, ich bin für die Zufallstheorie. Die Art, wie ich sie kennengelernt habe … am Strand … sie wurde von einer Bremse gestochen … Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie das alles inszeniert hat. Aber offensichtlich hat sie mich im Hinblick auf die Trennung angelogen – außer sie betrachtet es als Trennung, über einer Garage zu wohnen. Und sie hat mich belogen, als sie sagte, sie hätte keine Kinder.” Er schüttelte den Kopf. “Kein Wunder, dass ich sie nie in Rodanthe besuchen kommen durfte.”
“Kannst du der Sache auf den Grund gehen?”, fragte Daria. “Ich meine, kannst du sicherstellen, dass sie nicht … na ja, irre ist? Dass sie nicht den kranken Plan verfolgt, Shelly etwas anzutun?”
“Wenn eines sicher ist, dann, dass sie Shelly anbetet.”
“Jeder betet Shelly an. Aber nicht jeder erschlägt sie mit persönlichen Fragen und schenkt ihr gläserweise Muscheln.”
Rory atmete tief durch, dann nickte er. “Wir treffen uns morgen Abend. Dann rede ich mit ihr.”
33. KAPITEL
I n einer Gegend, wo der Großteil der Bewohner aus Touristen besteht, verbreiten sich Gerüchte unter den Einheimischen erstaunlich schnell. Zum ersten Mal hörte Daria das Gerede am Tag nach Pfarrer Macys Bestattung bei einem ihrer Tischlerjobs. Sie und Andy montierten gerade Küchenschränke, während George und Billy im angrenzenden Esszimmer einen Ventilator installierten, als George über die Untersuchung sprach. Sein Bruder war bei der Polizei, weshalb er in Dinge eingeweiht war, von denen andere nichts wussten.
“Das war vielleicht ein sonderbarer Unfall”, sagte er von seiner Leitersprosse aus. “Oder ergibt das für euch etwa einen Sinn? Ich meine, Pfarrer Macy war doch ein erfahrener Drachenflieger, und plötzlich stürzt er einfach so ab?”
“Wahrscheinlich hat er sich einen Moment lang nicht richtig konzentriert”, meinte Daria. Sie drückte den Unterschrank, den Andy gerade an einem Bolzen befestigte, gegen die Wand.
“Das sieht mein Bruder aber ganz anders”, erwiderte George. Er ließ Billy den Ventilator allein halten, während er die Fakten an den Fingern abzählte. “Erstens war es ein Wettkampf und nicht irgendein Flug. Und wenn Sean sich auf das, was er tat, konzentriert hat, dann doch wohl bei einem Wettkampf. Und zweitens war das Wetter perfekt. Ich meine, er hätte sich schon sehr anstrengen müssen, um bei dem Wetter abzustürzen.”
“Was willst du damit sagen?”, wollte Billy wissen. “Meinst du, jemand wollte ihn ausschalten?”
“Das haben sie zunächst auch überlegt”, sagte George und half Billy wieder mit dem Ventilator. “Vielleicht hat irgendwem die Buße nicht gefallen, die Sean ihm nach der Beichte auferlegt hat, oder so was, und er hat deshalb seinen Hängegleiter manipuliert. Aber die Polizei hat das Ding genau unter die Lupe genommen – nichts.”
“Und was ist deiner Meinung nach dann passiert?”, fragte Andy, als er wieder aus dem Schrank herausgekrabbelt war.
“Vielleicht hat er den Sturzflug in den Sand ja provoziert.” George wartete, dass seine Worte Wirkung zeigten.
“Das ist doch Blödsinn”, meinte Andy bloß.
“Na ja, da ist noch etwas.” Der Ventilator war nun sicher angebracht, und George kletterte von der Leiter. “Mein Bruder und zwei seiner Kollegen haben mit einigen Zeugen gesprochen – erfahrene Piloten, die alles mit angesehen haben. Für sie sah es nach einem absichtlich hervorgerufenen Stillstand aus.”
“Kann doch sein, dass es zu seiner Vorstellung gehörte”, warf Andy ein. “Vielleicht wollte er …”
George fiel ihm ins Wort. “Der andere Priester von St. Esther's, der alte Typ … Pfarrer Wayne? Er hat meinem Bruder erzählt, dass er in letzter Zeit sehr
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