Sommerkind
geschehen.”
“Unheimlich”, fand Zack.
“Ja, allerdings.” In Darias Magen rumorte es immer noch wie verrückt, doch verglichen mit Shellys Angst war ihre verschwindend klein. Für ein paar Momente trat sie an den äußeren Rand der Veranda und sah links und rechts den Strand hinunter. Shelly war irgendwo da draußen und ging spazieren. Innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden war sie sehr still und nachdenklich geworden. Daria wusste, dass ihr nicht der Sturm selbst Angst machte, sondern die bevorstehende Abreise von ihren über alles geliebten Outer Banks.
“Müssen alle ihre Häuser räumen?”, wollte Zack wissen. Er hob gerade mit Chloe eine weitere Holzplatte an und justierte sie vor einem Fenster. “Meinen sie das mit 'Zwangsevakuierung'?”
“Sie sagen immer, es wäre eine Zwangsevakuierung”, antwortete Chloe. “Aber eigentlich heißt es, dass man völlig auf sich gestellt ist, wenn man hierbleibt. Es ist möglich, dass einem im Notfall keine Hilfsdienste zur Verfügung stehen.”
“Gibt es denn Leute, die bleiben?”
“Es gibt immer Leute, die glauben, es wäre besonders mutig, zu bleiben”, erklärte Chloe weiter, “aber in Wahrheit ist es nur dumm. Gut möglich, dass noch Notfallkräfte da sein werden, doch selbst die – also zum Beispiel der Sheriff und der Rettungsdienst – dürfen nicht mehr auf die Straße, wenn der Wind eine Geschwindigkeit von hundert Stundenkilometern erreicht hat. Das wäre zu gefährlich.”
Daria und Rory nagelten die Sperrholzplatte fest, und als sie fertig waren, sagte er: “Grace wird wahrscheinlich auch in unser Motel kommen.”
Daria hätte gern gewusst, ob man ihr die Enttäuschung von den Augen ablesen konnte. “Warum will sie denn den ganzen Weg nach Greenville fahren?”, fragte sie.
“Tja …”, Rory trat einen Schritt vom Fenster weg, um ihre Arbeit zu bestaunen, “… aus zwei Gründen, glaube ich: Erstens will sie nicht bei ihrem Ehemann sein. Und zweitens habe ich das Gefühl, dass sie mit dir reden will. Sie hat mich ausdrücklich gefragt, ob du auch da sein wirst.”
Na großartig, dachte Daria. Einmal auf dem Festland, müsste sie sich nicht nur Sorgen um das Schicksal des Sea Shanty und das Wohlergehen ihrer panischen Schwester machen; nein, sie würde auch noch Graces Fragen zu einem Unfall beantworten müssen, über den sie nicht offen sprechen konnte.
Rory schien ihre Betroffenheit zu spüren. “Vielleicht hätte ich ihr absagen sollen.”
“Nein, ist schon in Ordnung”, sagte Daria und half Zack beim Anheben der nächsten Platte.
An diesem Abend packten sie ihre Koffer, brachten Darias Werkzeug aus der Werkstatt ins Haus und stellten die Verandamöbel hinein. Shelly musste sich die halbe Nacht lang übergeben, und Daria ging es fast genauso schlecht.
Es war noch früh am Morgen, als sie sich im Bett aufsetzte und durch ihr Fenster aufs Meer blickte. Die Wellen waren merklich angeschwollen und schaumig, der Strandhafer wehte beinahe parallel zum Boden, und der Himmel hing voll schwerer grauer Wolken. Sogar in ihrem Zimmer spürte Daria die Veränderung der Atmosphäre, die so schwer zu beschreiben war und doch so verlässlich ein nahendes Unwetter ankündigte. Der Luft schien es an Sauerstoff zu mangeln, man konnte nur schlecht atmen.
Schnell zog sie sich an und ging nach unten, wo Chloe gerade einen Obstsalat für das Frühstück zubereitete.
“Wo ist Shelly?”, fragte Daria. Für gewöhnlich war Shelly morgens als Erste auf, und die Tatsache, dass sie nicht da war, beunruhigte Daria.
“Ich habe sie noch nicht gesehen”, meinte Chloe. “Ich habe ihr gestern extra gesagt, sie soll um acht Uhr startklar sein.”
Es war bereits halb acht.
“Ich habe ein ungutes Gefühl”, sagte Daria.
Chloe sah von dem Pfirsich auf, den sie gerade in Scheiben schnitt. “Vielleicht ist sie ja am Strand. Die letzte Chance, vor dem Sturm noch Muscheln zu sammeln.”
“Ich gehe hoch und sehe nach, ob sie wenigstens schon gepackt hat.” Mit zunehmender Beklemmung stob Daria die Stufen hinauf. Sie klopfte an Shellys Tür. Keine Antwort. Dann ging sie hinein. Shellys Bett war ordentlich gemacht, aber Koffer waren nirgends zu sehen. Vielleicht hatte sie einfach noch nicht gepackt. Doch dann erspähte Daria eine Notiz am Spiegel über Shellys Frisierkommode. Sie ging näher heran und las:
Fahrt ohne mich. Ich bin in Sicherheit.
38. KAPITEL
D aria und Chloe liefen den Strand südwärts hinunter, Rory und Zack nach Norden.
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