Sommerkind
du liebst es, Nonne zu sein.”
“Oh ja, das habe ich. Das habe ich wirklich. Aber … ich glaube nicht, dass ich so weitermachen kann.”
“
Wie
weitermachen?”
Wie hypnotisiert starrte Chloe in die Flamme der Sturmlampe. “Sean …” Sie zögerte. Dann setzte sie erneut an: “Sean hat sich in dem törichten Versuch, mich vor der Verlockung zu bewahren, das Leben genommen.”
“Ich verstehe nicht.” Daria war sich nicht sicher, ob sie es überhaupt verstehen wollte.
“Ich hatte schon immer Schwierigkeiten mit dem Keuschheitsgelübde”, gestand Chloe unverblümt. “Armut war kein Problem. Gehorsam war kein Problem.” Sie schüttelte den Kopf. “Aber es ist mir immer sehr schwergefallen, diesen Teil von mir zu verleugnen: diesen sinnlichen, sexuellen Teil. Als junge Schwester bin ich im Kloster manchmal aufgewacht und habe gemerkt, dass ich im Schlaf einen Orgasmus hatte – wohl während eines Traums –, und habe mich übel dafür beschimpft. Was stimmt nicht mit mir, habe ich mich gefragt, dass, obwohl meine Tage voll von reinen Gedanken sind, nachts noch immer dieser erbärmliche …
lustvolle
Teil von mir hervorkommt? Immer wenn ich es nicht kontrollieren kann. Ich habe mich deswegen oftmals selbst kasteit. Doch dann …”, Chloe sah Daria an, “… dann fing ich an zu denken, dass mein Kummer über diese Art von Gefühlen albern ist. Ich hatte nichts Verbotenes getan. Was ich fühlte, rührte von einem normalen, gottgegebenen Teil meines Selbst; einem Teil, dessen Existenz ich zu leugnen versuchte. Aber er existierte nun mal. Und ich konnte daran einfach nicht länger etwas Falsches finden.”
Daria fehlten die Worte. Sie hatte Chloe noch nie so offen über sexuelle Gefühle sprechen hören. Nicht über die eines anderen, und schon gar nicht über ihre eigenen. Sie war davon ausgegangen, dass Chloe diese Bedürfnisse einfach nicht verspürte, dass sie irgendwie darüberstand. Sie hatte sich geirrt. Chloe war fast vierzig und hatte diesen Teil von sich all die Jahre verleugnet. Diese Erkenntnis ließ Daria die Tränen in die Augen steigen. Sie konnte den Schmerz ihrer Schwester quer durch den Raum spüren.
“Was hast du damit gemeint: Sean hat dich vor der Verlockung bewahren wollen?”, wagte Rory zu fragen.
Wieder starrte Chloe auf die Sturmlampe. Das Grollen des Donners hatte sich in die Ferne zurückgezogen, und nun erfüllte nur noch ihre Stimme das Zimmer.
“Er hat sich umgebracht, um mich zu retten. Niemand weiß davon, aber es ist an der Zeit, dass ich es ausspreche.” Sie stieß einen tiefen Seufzer aus. Die Hände lagen gefaltet in ihrem Schoß. “Sean und ich waren ein Liebespaar.”
“Oh Chloe”, sagte Daria.
“Es hat schon vor Jahren angefangen. Wenn ich im Sommer hier war, haben wir uns jedes Mal gesehen. Am Anfang unterhielten wir uns nur – über die Bedeutung, die das Leben als Nonne für mich hatte; über das Keuschheitsgelübde und wie schwer es uns fiel, es zu erfüllen. Er hatte genauso große Schwierigkeiten damit wie ich, und das machte mir Mut. Doch je mehr wir darüber sprachen, umso stärker fühlten wir uns zueinander hingezogen.”
Chloes Stimme brach plötzlich, und Daria ging zum Sofa hinüber und legte die Hand auf die ihrer Schwester.
“Ich hatte einen Punkt erreicht, an dem ich es gar nicht mehr so schlimm fand, das Gelübde zu brechen”, fuhr sie fort. “Ich war wütend auf die Kirche, weil sie es uns so unnachgiebig auferlegte. Das war eine vom Menschen gemachte Vorschrift, kein Gesetz Gottes. Ich kam zu der Überzeugung, dass man sich dem religiösen Leben hingeben und dennoch mit einem Partner die irdische Liebe teilen kann. Das finde ich immer noch. Absolut. Und ich fühlte mich gut mit dem, was wir taten. Aber für Sean war es nicht so einfach, und so haben wir vor ein paar Jahren den körperlichen Teil unserer Beziehung ausgeblendet. In ihm tobte ein verheerender Kampf der Gefühle, und ich wollte ihn nicht länger leiden sehen.” Wieder brach ihre Stimme, und dieses Mal zog sie ihre Hände unter Darias hervor und verbarg ihr Gesicht dahinter. Daria streichelte ihr zärtlich über den Rücken. Sie sah zu Rory hinüber, dessen Gesicht im Schein der Sturmlampe düster wirkte.
Chloe hob den Kopf wieder. “Ich habe mich bemüht, ihn nicht zu drängen. In seiner Nähe habe ich versucht … geschlechtslos zu sein. Und es hat funktioniert – zumindest bis zu diesem Sommer. Ich glaube nicht, dass ich irgendetwas Bestimmtes getan habe, aber
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