Sommerkind
waren Grace und Bonnie froh darüber, sich kein Haus am Strand leisten zu können. Dort würden sie bestimmt einfach weggespült.
Sie hatten nur noch wenig zu essen, doch da es draußen zu ungemütlich zum Einkaufen war, aßen sie am Abend Brote mit Erdnussbutter und Marmelade. Kurz danach fiel der Strom aus, und sie hatten weder Licht noch konnten sie fernsehen. Sie fanden eine Sturmlampe und stellten sie auf den Couchtisch. Aufs Sofa gekuschelt betrachteten sie die züngelnde Flamme hinter dem Glas, als Grace Krämpfe bekam.
“Können Erdnussbutter und Marmelade schlecht werden?”, fragte sie Bonnie.
“Glaub nicht. Außerdem haben wir sie doch erst vor wenigen Tagen gekauft. Wieso?”
“Ich habe Magenschmerzen.”
“Oh”, frotzelte Bonnie sie, “das sind bestimmt die Wehen.”
“Sehr komisch”, entgegnete Grace, doch sie fürchtete, Bonnie könnte recht haben. Das waren keine normalen Magenschmerzen. Sie waren eher wie Menstruationskrämpfe, die kamen und gingen. Aber sie waren schwach, nicht der Rede wert, und ganz sicher nicht so, wie sich Wehen anfühlten. Außerdem war sie erst im achten Monat.
“Wir können genauso gut schlafen gehen”, meinte Bonnie.
“Oh Gott, Bonnie.” Grace konnte jetzt unmöglich ins Bett gehen. Wenn sie aufwachte, blieben ihr nur noch wenige Stunden Freiheit. Sie würde sich ihrer eigenen unsicheren Zukunft und der ihres Kindes stellen müssen. “Ich will morgen noch nicht nach Hause.”
“Ich wohl”, meinte Bonnie. “Nichts für ungut, aber ich will Curt wiedersehen. Und ich wette, das Wetter in Charlottesville war die ganze Zeit über besser als hier.”
“Du musst auch keine Bowlingkugel unter deinem T-Shirt verstecken, wenn du nach Hause kommst.”
“Meine Mutter hätte es sowieso schon längst gemerkt. Sie passt viel zu sehr auf mich auf.”
Grace wandte den Blick von ihrer Freundin ab. Sicher, Bonnie meinte das als Vorwurf, aber sie wusste ja gar nicht, wie gut sie es hatte. Grace rutschte auf dem Sofa hin und her, um eine Position zu finden, in der es ihrem Magen besser ging. Vielleicht würde es helfen, wenn sie sich hinlegte.
“Na gut”, sagte sie und stand auf. “Lass uns ins Bett gehen.”
Grace schlief unruhig. Obwohl sie wegen des Regens das Schlafzimmerfenster geschlossen hatte, klapperte das Glas im Fensterrahmen, und trotz des draußen wütenden Sturms war es in ihrem Zimmer heiß und das Bettzeug schweißnass. Sie träumte, sie läge im Krankenhaus, bekäme das Baby und würde schreien. Dann wachte sie von ihrem eigenen Geschrei auf und wusste sogleich, dass sie tatsächlich in den Wehen lag. Dieser Schmerz war kein Traum.
Bonnie stürzte an ihre Seite. “Grace? Was ist los?”
Im Zimmer war es stockfinster. Bonnies Stimme durchbrach die Schwärze, aber Grace wusste nicht, aus welcher Richtung sie kam. “Ich glaube, das Baby kommt.” Irgendwie schaffte sie es, die Worte zwischen zwei Schmerzexplosionen hervorzuquetschen. Sie hielt sich nicht zurück, sondern brüllte aus vollem Hals, warf all ihre Energie in den Schrei und verstand auf einmal, warum Frauen während der Geburt diesen Drang verspürten. Kein anderes Geräusch würde denselben Zweck erfüllen.
“Es darf noch nicht kommen”, sagte Bonnie, und Grace hörte die Angst in ihrer Stimme.
Sie konnte nicht mit Worten, sondern nur mit Keuchen und einem weiteren Schmerzgeheul antworten.
“Ich hole die Lampe”, meinte Bonnie. “Warte hier.” Dann lachte sie nervös. “Als wenn du irgendwo anders hingehen könntest.”
Nach wenigen Sekunden war sie mit der brennenden Laterne in der Hand zurück und stellte sie auf die alte Frisierkommode. Grace sah die Angst in den Augen ihrer Freundin. Wahrscheinlich lag auf ihrem Gesicht derselbe panische Ausdruck.
“Ich weiß nicht, was ich tun soll, Grace.” Bonnie ruderte fahrig mit den Armen in der Luft umher. “Sag du es mir.”
Grace fühlte sich hilflos. Was hier mit ihr geschah, führte ein Eigenleben, und sie war nicht in der Lage, es zu stoppen. Mit einem verzweifelten Blick flehte sie Bonnie wortlos an, etwas zu unternehmen.
“Die Krankenschwester!”, sagte Bonnie plötzlich. “Nancy!” Sie rannte aus dem Zimmer. Graces Flehen, sie nicht allein zu lassen, ignorierte sie.
Dann begann Grace wieder, lautstark zu schreien – sie schrie und schrie, um nur nicht an den rasenden Schmerz zu denken, der ihren Körper durchfuhr, und um zu vergessen, dass sie allein war. Als Bonnie und Nancy herbeieilten, schrie sie immer
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