Sommerkind
ganze Woche so bleibt, reisen wir vielleicht ab. Wir haben diesen Urlaub schon vor Ewigkeiten geplant, und nun ist hier so ein lausiges Wetter.” Während sie sprach, schaute sie unverwandt auf Graces Bauch, und Grace war hin und her gerissen zwischen Verlegenheit und Stolz.
“Wir sind hier”, meinte Bonnie. “Sonst kann man ja eh nicht viel machen.”
Um Punkt fünf standen Nancy und ihr Mann vor der Tür, und die vier setzten sich ins Wohnzimmer und schauten auf dem kleinen Schwarzweißfernseher die Nachrichten.
Nancys Ehemann hieß Nathan. Er war Ingenieur, hatte kurzes rabenschwarzes Haar, dunkle Augen hinter dicken, von einem Drahtgestell eingefassten Brillengläsern und einen buschigen Bart. Er war sehr still, während er ans Sofa gelehnt auf dem Fußboden saß und sich auf die Fernsehsendung konzentrierte. Nancy hingegen plapperte munter drauflos.
“Woher kommt ihr zwei?”, wollte sie wissen.
“Charlottesville”, antwortete Bonnie. “Wir haben gerade unseren Highschool-Abschluss gemacht. Und mit dieser Woche am Strand belohnen wir uns jetzt dafür.”
“Highschool?”, wiederholte Nancy. Wieder wanderte ihr Blick zu Graces Bauch, und dieses Mal war es Grace unangenehm. “Dann gehe ich davon aus, dass du nicht verheiratet bist, richtig?”, fragte Nancy.
“Ja”, erwiderte Grace.
“Wow. Wann ist es denn so weit?”
“In einem Monat.”
“Und hast du … Entschuldige bitte meine Neugier, aber ich bin Krankenschwester. Hast du einen festen Freund?”
“Nein”, sagte Grace. Aus irgendeinem Grund störte sie Nancys Fragerei nicht. Sie wollte zwar persönliche Dinge von ihr wissen, fragte aber vorsichtig.
“Willst du das Baby behalten?”
“Ja. Auch wenn ich noch nicht weiß, wie ich für uns beide sorgen soll.”
“Unterstützen dich deine Eltern denn nicht?”
Grace lachte. “Ich habe nur eine Mutter. Und die weiß nichts davon.”
“Sie weiß es nicht?” Nancy blickte ungläubig drein. “Ist sie blind?”
“Ich habe es vor ihr versteckt. Sie glaubt, ich wäre einfach dick geworden.”
“Wow”, sagte Nancy wieder. “Was wird sie denn machen, wenn sie es herausfindet?”
“Einen Herzinfarkt bekommen.” Wieder lachte Grace. “Gleich nachdem sie mich umgebracht hat.”
“Warum hast du es nicht abgetrieben?”
“Ich wollte es einfach nicht.”
“Es muss doch unheimlich sein, nicht zu wissen, wie man sein Kind ernähren soll. Es ist klug von dir, darüber nachzudenken. Du bist erst achtzehn, oder?”
“Nicht ganz.”
“Mein Gott, Mädchen … Ich finde, du solltest mal ernsthaft über eine Adoption nachdenken.”
“Nein. Ich finde schon einen Weg, wie ich das schaffe.”
Vom Boden drang Nathans Gähnen zu ihnen herauf.
“Ich meine nur, es gibt so viele Paare, die aus verschiedenen Gründen kein eigenes Kind bekommen können. Sie könnten deinem Baby ein gutes Zuhause geben, mit zwei Elternteilen und viel Liebe.”
Nancy rührte an dem einzigen Zweifel, der an Grace nagte: Sie war nicht fair zu diesem Kind, weil sie es von vornherein nicht nur eines Vaters, sondern auch der materiellen Güter beraubte, die zu haben es verdiente.
“Ich könnte es aber niemals weggeben”, sagte sie.
“Das verstehe ich. Ich glaube, ich könnte es auch nicht. Aber dir bleibt ja noch ein Monat, um deine Entscheidung noch einmal zu überdenken.”
“Ich habe sie gut durchdacht.”
“Und wie ist deine Schwangerschaft bisher verlaufen?”, wechselte Nancy das Thema.
“Ohne Probleme. Mir war noch nicht mal übel. Aber jetzt … werde ich langsam nervös. Ich habe Bücher über die Wehen und so gelesen. Ich habe Angst.”
“Das wird schon.”
“Was für eine Krankenschwester bist du? Hast du schon mal bei einer Geburt geholfen?”
“Ja, während meiner Ausbildung. Aber jetzt arbeite ich auf der Onkologie.”
“Was ist das?”, fragte Bonnie.
“Ich pflege Krebspatienten in einem Krankenhaus in Elizabeth City.”
“Das muss schwer sein.”
“Schwer, aber lohnend.”
“Und”, fing Grace erneut an, sie war wissbegierig, “als Auszubildende, was war da die längste Geburt, die du je miterlebt hast?”
Nancy lachte. “Du machst dich ja vollkommen verrückt. Es lohnt sich nicht, sich so viele Gedanken darüber zu machen, das kann ich dir versprechen. Es wird vorbei sein, noch ehe du es merkst, und dann hältst du dein wundervolles Baby im Arm.”
Grace war nicht sonderlich beruhigt. Doch sie kannte sonst niemanden, mit dem sie darüber hätte sprechen
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