Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommerkind

Sommerkind

Titel: Sommerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
Vom Netzwerk:
noch.
    Nancy gab Bonnie Anweisungen, die Grace nicht verstehen konnte, und Bonnie verließ das Zimmer. Während Nancy durch den Raum ging, redete sie beruhigend auf Grace ein, so als würde nichts Ungewöhnliches passieren, und Grace fühlte sich in Anwesenheit der Krankenschwester gleich viel wohler. Nur am Rande registrierte sie, dass Nancy das Bettzeug anders hinlegte und für eine kurze Untersuchung die Laterne zwischen ihre Beine hielt. Nancys Bewegungen, ihr gesamtes Verhalten, waren souverän und ruhig.
    Nachdem sie die Sturmlampe zurück auf die Kommode gestellt hatte, setzte sich Nancy auf die Bettkante. “Ich zeige dir jetzt, wie du atmen musst”, erklärte sie Grace mit sanfter, ruhiger Stimme. “Das wird die Schmerzen erträglicher machen.” Grace bemerkte, dass Bonnie zurückgekommen war, und stellte nach einem kurzen Blick in ihr Gesicht fest, dass sie weinte. Angst trieb Bonnie immer die Tränen in die Augen, das hatte Grace schon oft erlebt.
    “Drück meine Hand, wenn es dir hilft”, sagte Nancy. Sie legte ihre Hand in Graces, die sich sogleich daran festklammerte.
    “Und jetzt hör mir zu, Grace.” Nancy beugte sich dicht zu ihr hinunter. “Sicher hast du inzwischen begriffen, dass du das Baby unmöglich behalten kannst. Stimmt's? Du bist einfach zu jung, um ein Kind ganz allein aufzuziehen, vor allem ohne die Unterstützung vom Kindesvater oder von deiner Mutter. Du weißt ja noch nicht mal, wo du wohnen sollst. Und morgen wirst du dieses Cottage mit einem Neugeborenen im Arm verlassen – ohne Windeln, ohne Strampler und ohne eine Idee, wie du mit ihm umgehen, geschweige denn für es sorgen sollst. Sag mir die Wahrheit: Kannst du mit dem Baby nach Hause zu deiner Mutter?”
    Bei dem Gedanken stieß Grace ein Jaulen aus.
    “Nein, kann sie nicht”, antwortete Bonnie für ihre Freundin. “Du kennst ihre Mutter nicht.”
    “Ich weiß, dass du dir ausgemalt hast, das Baby zu behalten. Nur war das nichts als ein schöner Traum. Aber ich kann dir helfen. Lass
mich
das Baby nehmen. Lass es mich in das Krankenhaus bringen, in dem ich arbeite. Ich sorge dafür, dass es untersucht wird und später in eine liebevolle Familie kommt. So wird niemand – auch deine Mutter nicht – jemals erfahren, dass du schwanger warst. Du, ich, Bonnie und Nathan, wir sind die Einzigen, die davon wissen. Und so kann es auch bleiben.”
    “Sie hat recht”, sagte Bonnie. “Ich habe Angst, Grace. Ich meine, es war eine Sache, als du schwanger warst. Aber gleich haben wir hier ein Baby. Ein neues Leben! Du musst Nancy erlauben, es mitzunehmen.”
    Eine Welle des Schmerzes überrollte Grace und presste ihren Bauch zusammen. Sie stieß einen weiteren Schrei aus. Ihr Kopf war voller Gedankenfetzen. Sie sah ihre Mutter, wie sie sie anschrie und zwang, ihr zu erzählen, wie es zu dieser Schwangerschaft gekommen war. Sie sah sich und Bonnie, wie sie verzweifelt versuchten, das Neugeborene am Leben zu erhalten. Oh Gott! Was, wenn ihr Egoismus dem Baby schaden würde? Durch den Schleier der Schmerzen und Angst hindurch erschien ihr die Idee, das Baby zu behalten, auf einmal unsagbar eigensüchtig, fast schon grausam.
    Mit beiden Händen drückte sie Nancys Hand. “Würdest du mich anrufen? Wenn du das Baby mitnimmst, würdest du mich wissen lassen, dass es ihm gut geht? Dass es von … wunderbaren Menschen adoptiert wurde? Versprich mir, dass du es nur jemandem gibst, der liebevoll ist und ihm alles geben kann.” Ihre Stimme brach, und sie klammerte sich noch fester an Nancys Hand.
    “Natürlich, Grace”, versprach Nancy. “Ich werde mich um alles kümmern. Du müsstest dir keine Gedanken machen. Gib mir einfach das Baby, und ich kümmere mich darum.”
    “Das ist wie ein Wunder, oder, Grace?”, sagte Bonnie. “Ich meine, zufällig hast du deine Wehen einen Monat zu früh, und zufällig wohnt eine Krankenschwester nebenan, die genau weiß, was zu tun ist, und ein gutes Zuhause für dein Baby finden kann. Du musst es so machen, Grace. Anscheinend soll es genauso sein.”
    Der Schmerz nahm wieder zu, und Grace krümmte sich auf dem Bett. Von draußen schlug der Wind gegen das Fenster über ihrem Kopf. In ihren Ohren krachte der Donner, und der Blitz erfüllte das Zimmer mit einem unheimlichen überirdischen Licht.
Rette mich aus diesem Albtraum.
Sie hatte sich dieses Kind so sehnlich gewünscht, doch jetzt wollte sie nur noch davon befreit werden. Wollte es aus ihrem Körper herauspressen. Damit der Schmerz ein Ende

Weitere Kostenlose Bücher