Sommerkind
Ihre Periode war überfällig.
24. KAPITEL
R ory saß auf seiner Veranda und wartete auf Grace. Sie wollten sich in der frühen Abendvorstellung einen Film ansehen und anschließend essen gehen. Er hatte vorgeschlagen, nach Rodanthe zu fahren, und sie hätte gar nichts zu sagen brauchen, denn er kannte ihre Antwort auch so: Sie komme lieber nach Kill Devil Hills. Doch diesmal fragte er sie, warum er sie nie in Rodanthe besuchen dürfe, und diese Frage schien sie zu überraschen. “Ich habe überhaupt nichts dagegen, dass du zu mir kommst”, hatte sie gesagt. “Ich bin nur immer so froh, da mal rauszukommen. Und ich weiß, dass du lieber in Zacks Nähe bist.”
Stundenlang hatte er im Internet nach den zwei jungen Frauen recherchiert, die vor zweiundzwanzig Jahren aus North Carolina und Virginia verschwunden waren. Er hatte alte Zeitungsartikel gesichtet, jedoch nichts Neues erfahren.
“Hi Rory!”
Er sah zum Nachbarhaus, wo Jill gerade zu ihrem Auto ging. Er winkte, woraufhin Jill die Richtung änderte und auf ihn zukam. Sie stieg die Stufen zur Veranda hinauf und setzte sich.
“Ich habe gehört, du und Zack hattet in den Dünen viel Spaß”, sagte sie und schob die Sonnenbrille von der Nase in ihr dickes silbergraues Haar, wo sie sicher verweilte.
“Ja, das kann man wohl sagen.” Der Nachmittag hatte sie auf gewisse Art und Weise zusammengeschweißt. Natürlich hatten sie keine Zeit für tiefschürfende Gespräche gehabt, ganz in Zacks Sinn also. Stattdessen hatten sie sich gemeinsam auf die bevorstehende Aufgabe konzentriert und nach dem Kurs jeden Augenblick wieder und wieder durchlebt. “Vielleicht machen wir es sogar noch mal”, sagte er zu Jill.
“Mein Sohn hat gestern Abend seinen Dad angerufen und ihn angefleht, mit ihm Drachenfliegen zu gehen. Da siehst du, was du angerichtet hast.”
Rory lächelte zufrieden. Endlich hatte er etwas richtig gemacht.
“Wann willst du mich eigentlich zu den Geschehnissen von vor zweiundzwanzig Jahren befragen?”, wollte sie wissen.
“Jetzt gleich, wenn du magst”, erwiderte er. “Ich warte zwar auf eine Freundin, aber bis sie auftaucht, können wir uns gern unterhalten.”
“Ich glaube jedoch nicht, dass ich dir noch etwas Neues erzählen kann. Für mich stand immer fest, dass Cindy Shellys Mutter ist. Ich glaube, wir wissen es nur deshalb nicht hundertprozentig, weil die Polizei damals nicht genügend Anhaltspunkte hatte, um bei ihr eine ärztliche Untersuchung anzuordnen. Aber ich kann mich noch genau erinnern, dass ich sie wenige Tage vor Shellys Geburtstag mit einem weiten T-Shirt gesehen habe. Und das war nun wirklich nicht ihr Stil, falls du dich noch erinnerst.”
“Ja, das stimmt. Aber …”, dieser Gedanke spukte ihm schon seit geraumer Zeit im Kopf herum, “… Cindy hat auch nach Shellys Geburt noch viele Sommer hier verbracht. Meinst du nicht, es wäre irgendwie herausgekommen? Sie hätte doch sicher ganz besonderes Interesse an ihr gezeigt, oder?”
“Aber das hat sie ja. Sie wollte Shelly immer babysitten. Gut, sie hat bei vielen Nachbarn als Babysitterin gearbeitet – vermutlich, weil sie sich dann mit Jungs treffen konnte. Mein Bruder war einer von ihnen. Erinnerst du dich an Brian? Er war ganz schön wild.”
“Dein Zwillingsbruder, stimmt's?” Brian hatte was mit Cindy gehabt?
“M-hm. Er hat in dem Sommer vor Shellys Geburt mit ihr geschlafen und auch im Sommer '77. Ich konnte nie verstehen, warum er das tat, wo doch jeder Cindy für Shellys Mutter hielt. Aber seine Hormone waren wohl einfach stärker als sein Verstand.”
“Ich wusste gar nicht, dass Brian mit Cindy ging.” Rory kramte in seinem Gedächtnis. Er konnte sich nur mit Ach und Krach Brians Gesicht vor Augen rufen.
“Ich würde nicht sagen, dass sie miteinander gegangen sind. Er hat sie … na ja, gevögelt.” Jill zuckte die Achseln. “Mehr nicht. Du warst ein paar Jahre jünger als wir und hast wohl einfach nicht mitgekriegt, was da gelaufen ist.”
“Stimmt. Ich war in jenem Sommer erst vierzehn.” In dem Moment bog Graces Auto in die Sackgasse ein. Jill folgte Rorys Blick.
“Deine Freundin ist da.” Sie stand auf.
Rory war mit den Gedanken immer noch bei Brian und Cindy. “Verzeih bitte, wenn diese Frage jetzt irgendwie unverschämt klingt, aber wenn Brian mit Cindy geschlafen hat – könnte er dann nicht der Vater des Kindes sein?”
“Ich glaube nicht. Ich habe selbst schon daran gedacht, aber das würde bedeuten, dass er neun Monate
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