Sommerkind
wollte sie erst anrufen, aber dann dachte ich mir, ein persönliches Treffen wäre besser.” Sie blickte aufs Meer hinaus, in ihrem Blick lag wilde Entschlossenheit.
“Es wird nicht leicht werden”, vermutete Rory.
“Ich weiß. Aber es ist auch nicht leichter, in Ungewissheit zu leben.” Sie sah ihn an. “Ich bin froh, dass du mich zu diesem Schritt gedrängt hast, Rory. Zumindest im Augenblick. Wie ich mich morgen Abend nach dem Besuch fühlen werde, bleibt abzuwarten.”
“Tja, wenn du schon in Rodanthe bist, bestell Grace einen Gruß von mir. Meiner geheimnisvollen Frau.” Er nahm eine Handvoll Sand und ließ ihn durch die Finger rieseln. “Sie weiß nicht, was sie will. Ich habe mir Gedanken über ihre Krankheit gemacht. Vielleicht hatte sie Brustkrebs. Vielleicht musste ihr eine Brust abgenommen werden.”
“Meinst du … du … Das wüsstest du doch inzwischen.”
Für einen Moment war er irritiert, dann begriff er die Anspielung und lachte kläglich. “Nein, das wüsste ich nicht. Ich habe dir doch gesagt: Sie hält mich auf Distanz.”
Darias Augen weiteten sich vor Überraschung. “Immer noch?”
“Immer noch. Ich habe das Gefühl, sie will mit mir zusammen sein, aber vor Körperkontakt schreckt sie zurück. Vielleicht empfindet sie ja auch noch etwas für ihren Mann.”
“Nein, es muss mit ihrer Krankheit zusammenhängen. Wird Zeit, dass du sie endlich fragst, meinst du nicht?”
Er vergrub seine Füße im Sand und schüttelte den Kopf. “Sie ist nicht wie du. Du scheinst über alles reden zu können. Grace ist sehr … verschlossen.”
“Wann siehst du sie wieder?”
“Am Samstag. Sie will sich mit mir den Hängegleiter-Wettbewerb ansehen. Gehst du auch hin?”
“Ich hab's vor, ja. Ich war jetzt schon seit ein paar Jahren nicht mehr dort und muss endlich mal wieder meinen Lieblingspfarrer anfeuern.”
“Pfarrer Macy macht auch mit?”, fragte Rory. Die Hängegleiter-Passion des Priesters war ihm völlig entfallen.
“Der lässt sich doch so was nicht entgehen.”
Auf einmal sprang Daria auf und rannte auf Karas Spielfeldseite. “Kara, Mädchen”, sagte sie, “du musst knapper über das Netz spielen.”
Rory beobachtete Daria, wie sie Kara zeigte, höher zu springen und den Ball dort hinzuspielen, wo Zack ihn nicht erwischen konnte.
“Das ist unfair!”, beschwerte sich Zack, nachdem er einige von Karas Würfen nicht bekommen hatte. “Zeig mir auch, wie man das macht.”
Daria ging unter dem Netz hindurch auf seine Seite und gab ihm dieselben Tipps.
Rory stützte sich rücklings auf die Ellbogen. Er musste an den Abend denken, als er mit Daria auf den Stufen zur Veranda gesessen und gespürt hatte, wie sehr die Ereignisse des Flugzeugabsturzes sie immer noch quälten. Er hatte ihr die Hand in den Nacken gelegt und gewünscht, er könnte ihren Schmerz mit seinen Fingerspitzen aus ihr heraussaugen. Hoffentlich hat ihr Besuch in Rodanthe diesen Effekt und nimmt ihr diese furchtbaren Schuldgefühle, dachte er. Hoffentlich haben ihre Albträume dann endlich ein Ende.
Kara schmetterte den Ball über das Netz, und Zack und Daria liefen beide auf ihn zu. Mitten in der Luft stießen sie zusammen und stürzten dann lachend zu Boden. Rory lachte mit ihnen. Tief in seinem Herzen wusste er, dass er gerade
zwei
Menschen beobachtete, die er liebte.
29. KAPITEL
A ls Daria Richtung Süden nach Rodanthe fuhr, brannte die Sonne schon heiß am Himmel und ließ die Straße vor ihren Augen flimmern. In der vergangenen Nacht hatte sie wieder und wieder vergebens versucht, sich die Worte für das Gespräch mit den Eltern der Pilotin zurechtzulegen, und kaum ein Auge zugetan. Und selbst jetzt, wo sich das Treffen bedrohlich vor ihr aufbaute, konnte sie sich nicht darauf konzentrieren. Stattdessen schweiften ihre Gedanken zum Volleyballspiel am letzten Abend, als Rory sie auf dem Spielfeld berührt hatte. Das Letzte, was sie gebraucht hatte, war seine Hilfe – sie war ihm im Volleyball schon immer überlegen gewesen und war es noch. Doch seine Berührungen genoss sie. Sie sehnte sich sogar danach und stellte sich immer wieder auf Positionen, die diesen Körperkontakt geradezu provozierten. Und er spürte ihr Bedürfnis anscheinend und stillte es gern. Es war wie ein Tanz, doch sie musste sich ins Gedächtnis rufen, dass sie allein tanzte.
Rory und Grace waren also kein Liebespaar. Sie hielt ihn auf Abstand. Bei dem Gedanken huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Wahrscheinlich lag er
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