Sommerkind
Ehemann. Das konnte doch nicht sein … Ihr Blick schweifte in dem Raum umher und entdeckte genau das, wonach sie gesucht hatte: Auf einem der unaufgeräumten Schreibtische stand ein Foto von Eddie, Pamela – und Grace Martin. In ihrem Kopf drehte sich alles, als sie versuchte, eins und eins zusammenzuzählen.
“Ähm …” Ihre Stimme zitterte. “Ihre Frau … Grace? Wie kommt sie damit zurecht?”
“Das müssten Sie sie schon selbst fragen”, antwortete Eddie. Er klang nicht verbittert, sondern nur ratlos. “Ich weiß meist noch nicht mal, wo sie steckt. Sie spricht nicht mit mir. Sie erzählt mir nicht, was sie denkt oder fühlt. Wir sind beide ziemlich einsam … wir trauern nicht zusammen, wie Sie gesagt haben.”
Mit keinem Wort hatte er eine Trennung erwähnt, aber sie musste es wissen. “Ist Ihre Beziehung darüber … in die Brüche gegangen?”
Er sah überrascht aus, natürlich, denn er hatte nichts dergleichen gesagt. “Nein, und ich hoffe inständig, dass es nicht dazu kommen wird. Zurzeit könnte es allerdings den Anschein haben. Sie ist in das Apartment über unserer Garage gezogen. Ich hoffe einfach, dass ihr ein bisschen Abstand hilft.”
“Das hoffe ich auch”, sagte sie geistesabwesend. Kein Wunder, dass sich Grace mit Rory nicht in Rodanthe treffen wollte.
Daria stand auf. “Ich lasse Sie jetzt besser weiterarbeiten”, sagte sie. “Es tut mir wirklich sehr leid, welchen Verlust Sie erleiden mussten.”
“Ich bin froh, dass Sie gekommen sind”, sagte Eddie, der sich ebenfalls erhob. “Jetzt, wo ich weiß, dass jemand wie Sie da war, jemand, der sich ernsthaft um sie gesorgt hat, jetzt habe ich das Gefühl, dass Pamela die bestmögliche Chance hatte.”
Daria notierte ihre Telefonnummer auf einem Block, der auf dem Schreibtisch lag. “Wenn Sie jemanden zum Reden brauchen, rufen Sie mich einfach an.”
Oder wenn Ihre Frau wen zum Reden braucht
, hätte sie am liebsten hinzugefügt. Doch das ging natürlich nicht.
Als Daria wieder in ihrem Wagen saß, drehte sie den Schlüssel nur so weit in der Zündung, dass sie die elektrischen Fensterheber bedienen und die Scheiben herunterlassen konnte. Fahren konnte sie jetzt noch nicht. Was zum Teufel hatte Grace vor? War sie deshalb so krankhaft an Shelly interessiert? Versuchte sie, die verlorene Tochter durch sie zu ersetzen? Voller Entsetzen packte sie ein anderer Gedanke: Hatte Grace womöglich von Shellys Rolle bei Pamelas Tod erfahren? Sie versuchte, diesen Gedanken logisch weiterzuführen. Grace hatte irgendwie herausgefunden, was Shelly am Unfallort getan hatte. Dann hatte sie ein Treffen mit Shelly arrangiert, und jetzt plante sie vielleicht, ihr aus Rache in irgendeiner Form zu schaden. “Das ist doch verrückt”, sagte Daria laut. Die Fantasie ging mit ihr durch. Aber was sollte sie sonst denken? Eines wusste sie zumindest ganz genau: Grace Martin – Grace
Fuller
– war eine Lügnerin. Sollte sie Rory davon erzählen? Ja, das musste sie sogar. Das durfte sie ihm nicht verheimlichen, denn eines war sonnenklar: Grace benutzte Rory, um an Shelly heranzukommen.
Wie in Trance fuhr sie nach Hause – froh darüber, dass die Straße schnurgerade verlief und ihr nur wenig Aufmerksamkeit abverlangte – und versuchte nicht nur auszutüfteln, was Grace vorhatte, sondern auch, wie sie es verhindern könnte.
Als sie in die Auffahrt des Sea Shanty fuhr, kam Shelly gerade vom Strand in den Hof. Bei ihrem Anblick war Darias Beschützerinstinkt so präsent wie lange nicht mehr. Grace soll ihr besser kein Haar krümmen, dachte sie.
“Hi Shell”, sagte sie beim Aussteigen.
Shelly murmelte eine Begrüßung, und als sie nach dem Türknauf griff, sah Daria ihr gerötetes Gesicht.
“Shelly?” Daria ging zum Haus. “Was ist los?”
Die Hand auf dem Türgriff, erstarrte Shelly. “Nichts.”
Jetzt stand Daria neben ihr. Shelly hatte geweint, das war offensichtlich. “He, Kleines.” Sie legte einen Arm um ihre Schwester. “Was hat dich denn so traurig gemacht?”
Shelly zögerte und ließ sich dann auf die Stufen plumpsen. Daria setzte sich neben sie, den Arm noch immer um ihre Schultern.
“Ich habe Angst”, gestand Shelly.
“Und wovor?”
Shelly runzelte die Stirn. Sie hatte den Blick auf ihren Schoß gesenkt, in dem sie die Fäuste so fest ballte, dass ihre Knöchel ganz weiß hervortraten. “Dass Pfarrer Sean sich umbringt.”
Beinahe hätte Daria gelacht. Wo hatte Shelly das denn aufgeschnappt? “Wie kommst du denn
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