Sommerkuesse
Katrina.
Kevin zappelt herum, als würde er irgendeinen bizarren Tanz aufführen. Aber dann sehe ich, dass er nur schon wieder mit seinem Hacky Sack rumspielt.
Isaac wirft einen Blick auf seine Uhr. »Tja, wir müssen langsam«, sagt er.
Der Wald ist ziemlich klein für einen Wald. Er bedeckt gerade mal einen größeren Hügel, den wir aus wanderungstechnischen Gründen auf der einen Seite hinauf- und auf der anderen wieder hinuntergehen sollen. Die Kiefern stehen so dicht an dicht, dass es von weitem aussieht, als sei der Hügel mit weichem Moos bewachsen. Man kann sich kaum vorstellen, wie wir zwischen all den Bäumen noch genug Platz zum Hindurchwandern finden sollen.
Ms Fraser hat uns aufgefordert, alle Spuren menschlicher Zivilisation, die wir unterwegs finden, einzusammeln und mitzubringen – klasse Trick, uns als Wald-Putzkolonne einzuspannen.
»Carl hält diese Aktion für die totale Zeitverschwendung. Er hat gesagt, dass es Quatsch ist, dass alle mitmachen müssen. So was bringt doch bloß Botanikern und solchen Leuten was. Wir Informatiker haben gar nichts davon, hat er gesagt.« Aus Katrinas Mund klingt »Botaniker« wie ein Schimpfwort.
»Es tut allen Menschen gut, mehr rauszugehen«, sagt Kevin. »John Cage hat gesagt, die Natur bietet mehr Inspiration als jeder Komponist.«
Battle lächelt ihn an.
Über John Cage weiß ich bloß, dass er ein Stück geschrieben hat, das »4’33”« heißt und in dem die Musiker vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden lang keinen einzigen Ton von sich geben. Wir versuchen, unsere Orchesterleiterin immer wieder davon zu überzeugen, es doch mal auf einem unserer Schulkonzerte aufzuführen.
Mittlerweile sind wir am Fuß des Hügels angekommen, wo die anderen schon warten. Unser Betreuer – einer der Tutoren – mahnt zur Vorsicht, weil überall Wurzeln und Steine herumliegen, und kündigt an, dass wir für den Hin- und Rückweg jeweils etwa zwei Stunden brauchen werden.
Ich stehe zwischen Isaac und Battle und beuge mich ein Stück vor, um Battle ins Ohr zu raunen: »Und, was hältst du vom Wandern?«
»Total viel, aber nicht in solchen Riesengruppen.«
»Wäre schön, wenn wir alleine losziehen könnten«, sage ich und sehe uns beide schon schweigend durch das kühle, schattige Grün schlendern, den Duft der Kiefern in der Nase.
»Sollen wir?«
»Wie, jetzt?«
»Quatsch, du Dummie. Jetzt geht es ja wohl schlecht. Aber irgendwann mal könnten wir zu zweit los, wenn du Lust hast.«
»Gern«, sage ich. Das ist das erste Mal, dass es etwas gibt, was Battle und ich mögen und Katrina nicht.
Der Weg ist steil. Ich spüre, wie sich meine Oberschenkelmuskeln bei jedem Schritt anspannen. Es dauert nicht lange und unsere Gruppe löst sich wie vorauszusehen auf. Kevin liegt ganz weit vorne, Katrina hängt zurück, Isaac schleppt sich einige Meter vor ihr dahin und Battle und ich marschieren fast im Gleichschritt mittendrin.
Ein bisschen fies ist es ja schon von uns, nicht auf Katrina zu warten – andererseits genieße ich es, neben Battle herzuwandern. Natürlich sind wir nicht allein – der mit Sägespänen bedeckte Wanderweg ist so breit, dass sechs bis sieben Leute nebeneinander hergehen können -, aber ich kenne niemanden
von den anderen. Und dann wird die Gruppe auch noch von diversen Tutoren begleitet. Aber je anstrengender der Aufstieg wird, desto weniger Lust scheinen sie zu haben, uns auf irgendwelche interessanten ökologischen Besonderheiten hinzuweisen.
Battle wirkt überhaupt nicht angestrengt, wie ich neidisch feststelle. Ich sehe bloß ein paar winzige Schweißperlen auf ihren Schläfen, da, wo sich einzelne Strähnen aus ihrem Pferdeschwanz zu lösen beginnen. Mein Gesicht ist dagegen inzwischen garantiert schon knallrot.
Ich schreite zügig voran, da fällt der Weg unvermittelt steil ab und ich rutsche mit dem rechten Fuß ab. Ein scharfer Schmerz schießt mir in den Knöchel und im nächsten Moment liege ich am Boden.
Battle kniet sich sofort neben mich. »Alles okay?«, fragt sie.
Da kommt auch schon einer der Tutoren angerannt und sagt besorgt, aber irgendwie auch leicht genervt: »Rühr dich nicht von der Stelle!«, als hätte ich den Versuch gemacht, aufzustehen und weiterzugehen.
Battle bindet währenddessen sehr vorsichtig meinen Schuh auf. In meinem Knöchel pocht es, als würde darin ein zweites Herz schlagen.
»Mach das bloß nicht«, ruft Isaac, der sich inzwischen auch über mich beugt. Ich fühle mich wie ein lebendes
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