Sommerkuesse
beschreibt.
Ich schreibe immer alles per Hand auf und tippe es erst dann in den PC. Die Seite, die ich aus dem Ringbuch herausgerissen und zu einer Kugel zerknüllt habe, liegt noch auf dem Bett.
Ich wollte sie eigentlich gerade zerreißen, als das Telefon klingelte. Jetzt hebe ich sie auf, streiche sie glatt und lese noch mal durch, was ich geschrieben habe:
Battle Hall Davies ist sechzehn. Sie wohnt in North Carolina. Sie hat langes blondes Haar und ihre Augen haben die Farbe von jungen Blättern im Frühling. Sie ist etwa 1,75 m groß und trägt oft diese altmodischen, an den Oberschenkeln aufgeplusterten Reithosen und Stiefel, obwohl sie gar kein Pferd hat. Aber der Reiterinnenlook gefällt ihr.Sie hat zwei Hunde, die Dante und Beatrice heißen.
Sie spricht meistens langsam und gedehnt, so als sei ihr jedes einzelne Wort wichtig und als wolle sie ihm genug Zeit geben. Wenn sie mal schnell spricht, weiß man, dass sie aufgeregt oder wütend ist.
Sie wird selten rot. Aber wenn doch, dann muss ich immer an
den frühen Morgen denken, wenn das Licht noch blass ist und der Himmel ganz zart rosa.
Wenn sie über etwas lacht, das ich gesagt habe, dann finde ich mich plötzlich selbst richtig witzig und viel geistreicher als sonst.
Genau wie ich knabbert sie immer an ihrer Nagelhaut herum, und wenn ich sehe, dass sie sich wieder blutig gebissen hat, kommt mir die total verrückte idee, meinen eigenen blutenden Finger auf ihren zu pressen, damit sich unser Blut vermischen kann.
Halt.
Das ist nicht objektiv. Das hat nichts mehr mit wissenschaftlichem Arbeiten zu tun.
Verliebtheit ist absolut keine Grundlage für wissenschaftliches Arbeiten.
Meine Hände zittern, als ich das alles noch mal lese. Bescheuert. Bescheuert. Bescheuert.
Ich zerknülle das Blatt, streiche es wieder glatt und zerreiße es in lauter winzige Fetzen.
Dann fällt mir ein, dass ich mir jetzt ein anderes Objekt suchen muss, um es für morgen zu beschreiben.
Ich klappe den Bratschenkasten auf. Schreibe eine total lahme Beschreibung der Bratsche. Klappe den Bratschenkasten wieder zu.
Mir wird klar, dass ich die Nacht damit verbringen werde, an die Decke zu starren.
Als wir letztes Schuljahr das Musical »Guys and Dolls« aufgeführt haben, war ich Inspizientin. Vor der Szene in Havanna hab ich Rachel, die Sarah spielte, beim Kostümwechsel geholfen. Alles musste ruckzuck gehen. Während sie noch damit beschäftigt war, sich aus dem Rock zu winden und hastig ihre Uniformjacke aufzuknöpfen, hielt ich ihr schon mal das Kleid hin, damit sie gleich hineinschlüpfen konnte. Wie sie da so stand – in Slip und BH aus Seide und Spitze -, erinnerte sie mich an ein Pin-up-Girl aus den 40ern. Sie sah ganz genauso aus wie diese Mädchen, die sich die Soldaten früher auf die Flugzeuge malten, mit denen sie dann Nazis bombardierten.
Als Rachel das Kleid hochgezogen hatte, stellte ich mich hinter sie, um den Reißverschluss zuzuziehen. »Wahnsinn, ist das eng!«, stöhnte sie. »Sag mal, seh ich darin irgendwie dick aus?«
»Überhaupt nicht«, sagte ich. »Du siehst traumhaft aus.«
Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange, sagte: »Du bist echt süß, Nic!«, und schwebte auf die Bühne hinaus.
Margaret hatte währenddessen die Requisiten weggeräumt. Als sie fertig war und zurückkam, lästerte sie sofort los. »Du bift echt füf!« Und dann sagte sie mit normaler Stimme: »Ich hab genau gesehen, wie du sie angestarrt hast. Da haben wir wohl einen kessen Vater an unserem Theater, was?«
Ich glaube, ich habe »Verpiss dich« oder etwas ähnlich Schlagfertiges gesagt, aber ihre Worte hallten trotzdem in meinem Kopf nach und ich hätte um ein Haar die nächsten drei Lichteinsätze vermasselt.
Aber das ist nur eine Seite.
Ich sehe die schöne Rachel vor mir, aber auch den supersüßen,
schüchternen André, der bei mir in Geometrie saß und den ich das ganze letzte Jahr vergeblich auf mich aufmerksam machen wollte.
Das passt doch nicht zusammen. Ich und ein »kesser Vater«. Wie kann ich denn lesbisch sein, wenn ich ein ganzes Ringbuch mit Ideen voll geschrieben habe, wie ich André beeindrucken könnte?
Plötzlich verwandelt sich Andrés Gesicht in das von Battle, und ich wünschte, ich müsste sie nicht sehen; wünschte, ich könnte aufhören, mir vorzustellen, wie es sich wohl anfühlt, einfach nur ihr Haar zu berühren oder ihre Hand zu halten.
Aber ich schaffe es nicht.
feldbeobachtungen:
ich wollte die blume pressen, die battle
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