Sommerkuesse
Obst essen. Nie isst du genug Obst.« Sie häuft ihm etwas auf den Teller und fügt in gedämpftem Tonfall hinzu: »Wenn er nicht literweise Gatorade trinken würde, hätte er wahrscheinlich schon Skorbut.«
»Hast du nicht erzählt, du hast noch eine jüngere Schwester?«, fragt Katrina.
Isaacs Mutter strahlt sie an. »Wie reizend von dir, nach ihr zu fragen!«, sagt sie eine Spur zu fröhlich. »Rebecca ist bei ihrer Tante – sie steckt gerade in einer schwierigen Phase, man kennt das ja. Hast du denn noch Geschwister?«
Katrina schüttelt den Kopf. »Meine Eltern haben die Gussform zerbrochen.«
»Nic ist auch Einzelkind«, wirft Mom ein.
»Toll! Unser Tisch ist der lebendige Beweis für das Nullwachstum
der Bevölkerung! Was ist mit dir? Auch Einzelkind?«, wendet sich Katrinas Mutter an Battle.
Battle öffnet gerade den Mund, da sagt ihre Mutter schon: »Ganz genau.«
Battle schließt den Mund wieder, und zwar so abrupt, dass ich fast die Zähne aufeinander schlagen höre. Dann zieht sie das rosafarbene Haargummi aus den Haaren und fängt an, ihren französischen Zopf sorgfältig auseinander zu fieseln, bis nichts mehr davon übrig ist.
»Nein, also wirklich … solange andere noch essen. Das finde ich nicht gut«, zischt ihre Mutter.
Battles leise Antwort ist kaum zu verstehen: »Du machst auch ein paar Sachen, die ich nicht gut finde.«
Das habe aber nur ich mitgekriegt.
»Wie war das, Liebes?«
»Ich habe gesagt: Entschuldigung, aber der Zopf ist so straff, dass ich Kopfschmerzen kriege.«
Eine Weile lang schaufeln wir alle hastig und stumm das Essen in uns hinein, als wäre es unsere Henkersmahlzeit.
Irgendwann fängt Dad an, die mäßig witzigen Storys zu erzählen, die Mom und er unterwegs erlebt haben. Ich verziehe gequält das Gesicht. »Bitte nicht, Dad!« Zu spät begreife ich, dass er mit seinen lahmen Gags die Aufmerksamkeit der Leute am Tisch auf sich zieht und dadurch von allen möglichen Spannungen ablenkt. Und das macht er ganz bewusst. Wenn ich so darüber nachdenke, könnte ich heulen.
Nachdem sich die Gesellschaft endlich aufgelöst hat, wollen Mom und Dad unbedingt mit mir zu einem riesigen Antiquariat
fahren, an dem sie unterwegs vorbeigekommen sind, damit ich mir dort etwas aussuche.
Ich habe keinen Wunsch.
Jedenfalls keinen, den sie mir erfüllen könnten.
Ich überfliege die Buchreihen in den Regalen und suche verzweifelt nach irgendeinem Titel, für den ich wenigstens etwas Begeisterung heucheln könnte. Die Science-Fiction-Ecke ist total winzig, und von den Krimis interessiert mich nur einer – »Rächende Geister« von Agatha Christie -, aber den kenne ich schon.
Direkt neben den Krimis sind die Tierbücher eingeordnet. Wieso bloß? Haben die kleinen alten Damen, die sich hier Krimis kaufen, anschließend das dringende Bedürfnis, sich noch mit Katzenbüchern einzudecken?
Plötzlich sehe ich es – es steht so im Regal, dass man das Cover vorne sehen kann. Das Bild könnte glatt ein Abzug von den Fotos an Battles Wand sein. »Alles über Corgies«, steht in fröhlichen Großbuchstaben darüber.
»Das da!«, sage ich zu Mom und halte es für sie hoch.
»Bist du dir sicher? Ich dachte immer, du kannst Hunde nicht ausstehen.«
»Ganz sicher«, sage ich.
3. Juli, 20:47 Uhr, in meinem Zimmer
feldbeobachtungen:
mom und dad sind vor einer stunde gefahren, und seit sie weg sind, sitze ich hier auf dem bett und hab heimweh.
ich glaube, das kommt vor allem daher, dass wir uns gerade gesehen haben. das siegel institute ist irgendwie eine welt für sich, wo wir die ganze zeit so intensiv beschäftigt werden, dass ich gar nicht dazu gekommen bin, an zu hause zu denken. bis jetzt (na ja, jedenfalls die letzten zwei jahre) war es eigentlich vor allem die theater-ag, die mich so intensiv beschäftigt hat. ich fühle mich immer total verantwortlich für jede aufführung. sogar in meiner anfangszeit, als ich noch bei der requisite war und bloß dafür sorgen musste, dass die schreibmaschine für den zweiten akt der »glasmenagerie« parat stand, hatte ich das gefühl, das ganze stück würde ins wasser fallen, wenn ich irgendwas falsch mache. aber wenn bei mir alles glatt läuft, die schauspieler gut sind, alle lichteinsätze klappen und das bühnenbild reibungslos aufund abgebaut wird, dann liegt eine ganz besondere energie in der luft – als würden alle, die am stück beteiligt sind, mit jedem atemzug doppelt so viel sauerstoff aufnehmen. aber das gefühl ist nichts
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