Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht
ihnen fern. Denk an die Regeln , schrieb Grams schließlich.
Ashlyn nickte. Sie verbarg nur selten etwas vor Grams, aber sie würde weder zugeben, dass sie versucht hatte, ihre Spur aufzunehmen, noch von Seths Nachforschungen erzählen.
Grams hatte immer darauf bestanden, ihnen aus dem Weg zu gehen sei das Beste und einzig Mögliche. Ashlyn glaubte nicht mehr, dass das so gut war – und wenn sie ehrlich war, hatte sie es noch nie geglaubt.
»Ich bin ja vorsichtig. Ich weiß, was da draußen los ist«, sagte sie nur.
Grams schaute sie finster an und hielt sie kurz am Handgelenk fest: »Sieh zu, dass du immer dein Handy dabeihast. Ich möchte dich jederzeit erreichen können.«
»Ja, Grams.«
»Und halt mich auf dem Laufenden darüber, was du tagsüber vorhast. Für den Fall …« Sie verstummte und schrieb stattdessen : Wir probieren es ein paar Tage auf Deine Weise. Warten ab, bis sie das Interesse verlieren. Mach keine Fehler. Dann zerriss sie den Zettel langsam in winzige Fetzen. »Hol dir was zu essen. Du musst zusehen, dass du im Vollbesitz deiner geistigen Kräfte bist.«
»Ja, klar«, murmelte Ashlyn und drückte Grams kurz an sich.
Abwarten, bis sie das Interesse verlieren? Ashlyn war nicht sicher, ob das möglich war. Hätte Grams gewusst, dass es sich um Hofelfen handelte, hätte sie Ashlyn sofort eingesperrt. Sie hatte sich ein bisschen Zeit erkauft, aber das würde nicht von Dauer sein. Ich brauche Antworten . Und sich zu verstecken, war keine Antwort. Ebenso wenig wie Davonlaufen.
Sie wollte ein normales Leben – College, eine Beziehung, einfache Dinge. Und sie wollte nicht, dass alle ihre Entscheidungen an die Launen irgendwelcher Elfen geknüpft waren. Grams hatte so gelebt, aber sie war nicht glücklich. Ashlyns Mutter hatte nicht einmal eine Chance gehabt herauszufinden, ob sie ein normales Leben führen konnte. Ashlyn wollte weder in die Fußstapfen der einen noch der anderen treten. Aber sie wusste auch nicht, wie sie es anders machen konnte.
Elfen – Hofelfen – verfolgten einen Menschen nicht grundlos. Wenn sie nicht herausfand, was sie wollten oder wie sie das, was die Aufmerksamkeit der Elfen geweckt hatte, ungeschehen machen konnte, würden sie wohl kaum so bald wieder verschwinden. Und wenn sie nicht verschwanden, war es um Ashlyns Freiheit geschehen. Dieser Gedanke gefiel ihr nicht. Ganz und gar nicht .
Nachdem sie einen Happen gegessen hatte, zog Ashlyn sich in ihr Zimmer zurück und schloss die Tür. Ihr Zimmer war weder ein Zufluchtsort noch ein Spiegel ihrer Persönlichkeit wie Seths Wohnung oder Riannes allzu mädchenhaftes Zimmer. Es war einfach ein Zimmer, ein Platz zum Schlafen.
Bei Seth fühle ich mich mehr zu Hause. Seth fühlt sich an wie zu Hause.
Aber es gab ein paar Dinge in ihrem Zimmer, die ihr wichtig waren, die ihr das Gefühl gaben, hierherzugehören: einen alten Gedichtband von ihrer Mutter, Schwarzweißfotos aus einer Ausstellung in Pittsburgh. Grams hatte sie an jenem Tag überrascht – sie hatte ihr erlaubt, die Schule zu schwänzen, und war mit ihr ins Carnegie-Museum gefahren. Das war toll gewesen.
Neben diesen Abzügen hingen ein paar Fotos, die sie selbst gemacht hatte. Grams hatte ihr zu einem ihrer Geburtstage Vergrößerungen davon geschenkt. Eine Aufnahme vom Güterbahnhof brachte sie immer noch zum Schmunzeln. Sie war losgezogen, um diese Fotos zu machen, weil sie wissen wollte, ob man die Elfen darauf sah: Wenn Ashlyn sie sah, während sie durch die Kameralinse schaute, würde man sie dann auch auf dem Film sehen? Nein, man sah sie nicht; aber das Fotografieren selbst hatte ihr so viel Spaß gemacht, dass sie froh war, das Experiment unternommen zu haben.
Viel Persönliches gab es nicht in diesem Zimmer. Nur Streiflichter. Ihr ganzes Leben fühlte sich manchmal so an, als müsste alles, was sie von sich zeigte oder was sie tat, vorher genau geplant werden. Konzentration. Beherrschung .
Sie schaltete das Licht aus, krabbelte ins Bett und zog ihr Handy hervor.
Seth nahm gleich beim ersten Klingeln ab. »Vermisst du mich schon?«
»Kann sein.« Sie schloss die Augen und reckte sich.
»Alles in Ordnung?« Er klang angespannt, aber sie fragte ihn nicht nach dem Grund. Sie wollte nicht über irgendwas Negatives oder irgendwelche Sorgen sprechen.
»Erzähl mir eine Geschichte«, flüsterte sie. Er schaffte es immer, die schlimmen Sachen weniger schlimm erscheinen zu lassen.
»Was für eine Art von Geschichte denn?«
»Eine, die mir
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