Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
er gab ihr die einzige Antwort, die er ihnen beiden geben konnte: »Ja.«
Leslie spürte auch jetzt noch Irials Wesen in sich, es war wie ein seltsames Rascheln und Knistern. Und es war tröstlich, obwohl sie es zu beenden hoffte. Was er ihr gab und was er sie kostete, war für sie beide nicht gut. Es wäre leichter für sie gewesen, wenn sie ihn als böse hätte bezeichnen können, doch all dies war weder mit Werten noch mit Moral zu erfassen. Das wäre zu simpel gewesen. Irial tat nur, was er für notwendig erachtete, um seine Elfen zu retten, handelte zum Besten seines Hofes – sie eingeschlossen. Aber es war nicht ihr Bestes und auch nicht das der Menschen, denen in den Händen des Hofs der Finsternis Schreckliches widerfahren war. Auch für die Tausende von Sterblichen nicht, die unvermeidlich in Irials Pläne einbezogen werden würden, sobald Leslie weniger wichtig für ihn oder er noch verzweifelter wurde.
Sie lächelte Niall an. Sie standen in ihrem alten Zimmer. Sie war nicht mehr hier gewesen, seit sie mit Irial weggegangen war. Bei ihrer Ankunft war das Haus verlassen gewesen, als hätte es seit Wochen niemand betreten. Wenn sie es gekonnt hätte, hätte sie sich vielleicht Sorgen um ihren Vater gemacht, doch sie bemerkte lediglich, dass sie sich Sorgen machen wollte .
Darum kann ich mich später kümmern. Danach .
Niall zog sie in seine Arme, hielt sie so fest, als hätte er sie gerade vor einem Abgrund gerettet. Seine Hand wiegte ihren Hinterkopf. »Hältst du mich für schwach, wenn ich dir sage, ich wünschte, ich müsste nicht derjenige sein, der es macht?«
»Nein.« Sie vermutete jedoch, dass sie es später, wenn Irials Einfluss kleiner wurde, vielleicht doch tun würde.
»Komm.« Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn zum Bett, ihrem Bett, in ihrem Haus. Dort war sie sicher. Wegen Irial.
Niall blieb reglos stehen, während sie sich auf die Bettdecke mit dem ausgeblichenen Rosenmuster setzte. Hin und wieder spürte sie kurz ihre Gefühle – dank der Dinge, die Irial getan hatte, dank der Sterblichen, die dem Hof der Finsternis in die Arme gefallen waren –, nicht alle ihre Gefühle, aber einige von den stärkeren. Sie empfand Abscheu davor, wie die Elfen mit den Leichen umgegangen waren, Entsetzen über die Tatsache, dass diese Menschen wegen ihr gelitten hatten. Sie wand sich innerlich, wenn sie an die unglaubliche Sündenlast dachte, die ihr das aufbürdete … und an ihre Sehnsucht, in die Gefühllosigkeit zurückzukehren, damit sie das alles nicht mehr spürte. Gefühllosigkeit – genau die hatte sie sich gewünscht, doch sie war den Preis nicht wert, den sie und andere dafür bezahlen mussten.
Sie zog Niall näher zu sich; er sah sie mit traurigen Augen an.
Ihr Magen zog sich zusammen angesichts der Angst, die sie plötzlich überkam – nicht so, wie er es früher getan hatte, sondern vor Hunger danach.
Irials Hunger.
Dann verflüchtigte sich die Angst wieder, wurde von Irial verschlungen, während er in einem seiner Clubs saß, umgeben von den Elfen, die sich nach und nach an seiner Seite versammelt hatten. Hoffentlich würde Irials Hunger dem Schmerz, der nun folgen würde, die Spitze nehmen.
Sie drehte sich um, zog ihr Shirt aus und versuchte nicht an das zu denken, was nun unmittelbar bevorstand. »Bitte«, sagte sie mit geschlossenen Augen.
Niall legte seine Hand auf ihre Haut, auf ihr Tattoo, auf dieses Zeichen, mit dem Irials Wesen in ihrer Haut verankert war. Seine Hand war brennend heiß von der kleinen Kugel aus Sonnenlicht, die Ashlyn ihm im Loft überreicht hatte und die er in sich hierhergetragen hatte.
Auf meine Bitte hin.
Auf das Sonnenlicht folgte die eisige Kälte, die die andere Königin – die Winterkönigin – ihm gegeben hatte: Leslie hatte das Gefühl, als würden sich Eiszapfen in ihre Haut bohren. Und sie schrie, obwohl sie sich auf die Lippe biss, um diesen Laut zu unterdrücken. Sie schrie, wie sie es zuvor erst einmal getan hatte.
Es ist nicht Nialls Schuld. Es ist MEINE Entscheidung. Meine.
»Vergib mir«, bat er, als er das Sonnenlicht und die Eiseskälte in ihre Haut trieb. Die in der Tinte enthaltenen Tränen des Hofs der Finsternis gefroren, Irials beigemischtes Blut verbrannte und die Wurzeln der schwarzen Ranke verkümmerten.
Leslie?, flüsterte Irial.
Sie sah ihn so klar vor sich, als wäre er ein im Zimmer schwebendes Hologramm. Wären ihre Augen nicht geschlossen gewesen, hätte sie geglaubt, er sei wirklich da. Er stand
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