Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
sich sicher, und als das Lied zu Ende war, trat sie einen Schritt zurück.
Irial ging neben ihr her, ohne sie anzurühren. In der dunkelsten Ecke des Raumes luchste er einer Kellnerin zwei Flaschen Wasser ab.
»Wie geht es dir denn jetzt, wo Bunny-Boy sein Werk vollendet hat?« Er stellte sich zwischen sie und den Rest des Clubs.
Sie öffnete den Verschluss der Wasserflasche, lehnte sich gegen die Wand und genoss das Pochen des Basses auf ihrer Haut. »Was?«
Er streckte langsam seinen Arm nach ihr aus. Seine rechte Hand fuhr hinten unter ihr T-Shirt, glitt die Wirbelsäule hinauf und blieb dort auf ihrer immer noch empfindlichen Haut liegen. »Das Tattoo. Unser Tattoo.«
» Unser Tattoo?«
Er beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte: »Ich weiß, dass du mich wahrgenommen hast, als ich Rabbit dabei zugesehen habe, wie er auf diese zarte Haut gemalt hat.«
Er presste seine Finger auf das Tattoo, bis sie wimmerte. Ihr Herz raste, als wäre sie stundenlang gelaufen, als hätten die Kreaturen aus ihren Albträumen den Raum betreten. Er lügt. Er ist verrückt … Er ist … nein. Seine Worte schmeckten wahr, fühlten sich richtig an, während sie in ihr Bewusstsein sickerten.
»Ich hab jede Berührung der Nadeln gespürt, wie sie uns immer näher und näher zueinandergebracht haben. Das auf deiner Haut sind meine Augen, Leslie, mein Liebling. Mein Wesen wurde tief in dich eingeschrieben.« Irial lehnte sich zurück und gab ihr so ein kleines bisschen Raum, ermöglichte es ihr, ihm in die Augen zu sehen. »Du bist mein Segen, mein Schattenmädchen, mein Festmahl. Ganz mein.«
Sie glitt ein Stück die Wand hinunter und wäre ganz zu Boden gesunken, wenn er sie nicht an sich gezogen hätte.
»Diese Angst, die du jetzt empfindest …«, er sprach leise, seine Lippen schwebten über ihren, »… Ich kann dafür sorgen, dass sie aufhört, einfach so.«
Während er noch »so« sagte, holte er tief Luft und sofort wurde sie absolut ruhig und fühlte sich, als führten sie eine ganz alltägliche Unterhaltung.
Ihr Verstand konnte all das nicht verarbeiten – weigerte sich, zu verstehen, was er sagte. Doch dann sah sie alles klar vor sich: All die merkwürdigen Vorkommnisse der letzten Tage ergaben plötzlich einen Sinn. Er hat das alles getan. Er ist der Grund, warum ich … nicht in Ordnung bin.
»Das ist doch nicht möglich«, sagte sie zu ihm, zu sich.
»Du hast mich ausgewählt. Rabbit hat dir gesagt, dass es dich verändern würde.«
»Es waren also deine Augen, die Rabbit gezeichnet hat. Gut, mein Pech.« Sie glitt zur Seite und rückte ein Stück von ihm ab. »Aber das bindet uns noch lange nicht aneinander. Es ist bloß ein Tattoo.«
Er drehte sich äußerst geschmeidig um sich selbst und lehnte sich dann an die Stelle, an der sie zuvor gestanden hatte, so dass sie Seite an Seite standen. Er sah nicht sie an, sondern die Tanzenden, während er sagte: »Du glaubst es nicht. Aber du weißt, dass es stimmt. Irgendwo tief in dir fühlst du dich anders. Das weiß ich genau, ebenso genau wie ich weiß, dass du nach Niall Ausschau hältst und hoffst, dass er mich diesmal angreift.«
Sie wandte sich zu ihm um. »Was?«
»Er wird es nicht tun. Er kann es gar nicht. Es gibt nur wenige, die mich berühren dürfen, und er gehört nicht zu ihnen. Aber …« – er atmete tief ein und blies die Luft dann in einem langen Seufzer wieder aus, wobei er ihre Haarspitzen aufwirbelte – »es gefällt mir, dass du dir das wünschst. Das sind gesunde Gefühle – Wut, Entsetzen, Angst und ein wenig Versuchung, beladen mit Schuldgefühl. Sie schmecken gut.«
Er lachte; ein rauchiger Laut, der sich um sie herumwand wie ein Schatten, der Gestalt annahm, wie die Schatten in Rabbits Laden, von denen sie sich eingebildet hatte, dass sie über der Flasche mit der Tinte schwebten. Du hast sie dir nicht eingebildet, du hast sie wirklich gesehen. Sie schaute genauer hin und sah, dass überall Schatten durch den Raum schwebten, von den Körpern auf der Tanzfläche zu ihr hinkrochen und sich ausstreckten, als hätten sie Hände, die ihre Haut streicheln wollten – aber sie wollte auf keinen Fall, dass sie es taten. Oder doch? Als sie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, schmeckte sie Honig – Sehnsucht . Sie stieß sich von der Wand ab.
Durch die schattenumwehten Körper kamen Keenan, Ashlyn und Seth auf sie zu. Keiner von ihnen sah glücklich aus, aber besonders Seths besorgte Miene machte sie stutzig. Dass sie
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