Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
er wieder zu mir nach Hause kommt?«, fragte er und wartete auf ihre Reaktion – zuversichtlich, seinen Hunger so ausgiebig an ihnen stillen zu können, dass er Leslie noch ein paar Stunden Aufschub gewähren konnte. Sie sollte sich erst an alles gewöhnen, bevor er anfing, seinen enormen Appetit durch sie zu befriedigen.
Während Keenans aufwallende Gefühle in ihn hineinströmten, trat der König der Finsternis an einen freien Tisch. Wie er vorhergesehen hatte, folgten Keenan und Ashlyn ihm und ließen sich an der gegenüberliegenden Tischseite nieder. Er fuhr mit dem Finger über die in die Tischplatte eingeritzten Namen – Hinterlassenschaften von sterblichen Gästen, die sich damit hier verewigen wollten. Eine Kellnerin kam vorbei, um ihre Getränkebestellung aufzunehmen, und sprach Ashlyn und Keenan mit Namen an.
»Für die beiden das, was sie immer trinken, und für mich einen Kaffee, tiefschwarz«, bestellte Irial.
Nachdem sie ihn länger als nötig angelächelt hatte, verschwand die Kellnerin wieder.
Wenn ich mich doch nur ohne eine zwischengeschaltete Mittlerin von ihnen ernähren könnte, wie Gabriels Tochter … Der Gedanke ließ ihn innehalten. Wenn ich das mit Ani früher gewusst hätte … Hatte er aber nicht. Und nun war er dabei, einen anderen Weg zu beschreiten. Ani würde er sich später noch einmal vornehmen.
Zunächst galt es, die Sache mit Leslie ins Laufen zu bringen. Wenn sie stark genug war, würde sie eine Weile überleben, doch letztlich … letztlich war das Leben von Sterblichen immer kürzer als das von Elfen. Sie waren so furchtbar kurzlebige Wesen. Ihr erster Herzschlag und ihre erste Erinnerung lagen nur einen Wimpernschlag von ihrem Tod entfernt. Wenn er Leslie die Last aufbürdete, den unstillbaren Hunger seines Hofes in Friedenszeiten zu befriedigen, dann würde das ihr Ende in unverantwortlichem Maße beschleunigen. Der Frieden würde seine Leslie bald töten, doch Krieg zu führen war nie eine kluge Lösung. Er brauchte eine Art Mittelweg. Der Hof der Finsternis war am Rande der Gewalt besser aufgehoben als in deren Mitte.
Irial wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Paar ihm gegenüber zu. Ashlyn murmelte Keenan gerade besänftigend etwas zu. »Beruhige dich. Niall geht nirgendwohin … schon gar nicht an den Hof der Finsternis. Er ist in Sicherheit …«
»Du unterschätzt mich, meine Teuerste.« Irial lachte. So viel Naivität belustigte ihn, in Hofkreisen war das eine echte Seltenheit. »Niall und ich waren schon Vertraute , wenn du es so nennen willst, bevor der Juniorkönig überhaupt geboren wurde.«
Keenans Wut flammte wieder auf. Er hatte die Hände so fest zu Fäusten geballt, dass sie wehtaten. »Und er hat jahrhundertelang dafür büßen müssen.«
Irial beugte sich über den Tisch. »Weißt du eigentlich, wie ungeheuer schwer es Niall fällt, seine Begierde nach Leslie im Zaum zu halten? Wie unglaublich schwierig es für ihn ist …«, er verstummte und registrierte erfreut, dass Keenans Miene versteinerte. »Aber vielleicht gibt es ja einen Grund dafür, dass er es dir nicht gesagt hat? Vielleicht gehört er doch immer noch mehr zu meinem Hof als zu deinem. Vielleicht gehörte er die ganze Zeit mir …«
»Lass die Finger von Niall«, erwiderte Keenan. Ein Schwall Wüstenhitze fegte über sie alle hinweg.
Ashlyn saugte diese Hitze im gleichen Moment in sich auf, als Keenan sie abgab. »Keenan. Verdammt noch mal. Wir müssen über Leslies Situation reden. Beruhige dich oder geh eine Runde spazieren.«
Was für eine reizende Idee . Irial lächelte Ashlyn an. Dann wandte er sich wieder Keenan zu und sah ihm direkt in die Augen. »An meinem Hof könnte er die Macht übernehmen. Und was bietest du ihm an? Die Leibeigenschaft? Elfen? Er ist ein Gancanagh , Keenan. Er braucht die Berührung Sterblicher oder irgendetwas anderes, woran er seine Sehnsucht befriedigen kann. Seit Jahrhunderten verleugnet er schon seine wahre Natur, um dich zu beschützen. Und was soll er jetzt tun, wo das nicht mehr nötig ist? Kindermädchen für deine Sommerelfen spielen?«
Keenan bemühte sich vergeblich, die Verzweiflung zu verbergen, die in ihm aufflammte. Über der Tanzfläche ging ein leichter Regenschauer nieder. Die Gäste kreischten und lachten und fanden zweifellos eine profane Begründung dafür – ein Fehler in der Sprinkleranlage oder eine kaputte Wasserleitung.
»Niall geht es besser, wenn er bei mir ist. Seine Loyalität gilt meinem Hof; das ist
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