Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
zu ihr herüberkamen, war Leslie auch nicht lieber, als von den Schatten berührt zu werden. Ihre Wut auf Keenan erreichte einen Höhepunkt und passte zu der Wolke aus salzigem Zorn, die vor ihm herschwebte wie Nebel, der vom offenen Meer hereinweht.
Irial drehte Leslie in seine Arme und sah sie mit einem Blick an, der sie vor Verlangen erbeben ließ.
»Mmmm, das schmeckt auch gut, aber …«, er küsste sie zärtlich auf die Stirn, »… ich muss mich jetzt um was Geschäftliches kümmern. Hierfür haben wir bald noch Zeit genug.«
Sie trat von ihm weg und stolperte in die Menge, wo Keenan sie auffing, ohne seinen Blick von Irial abzuwenden. Aber als Keenan sie festhielt, flackerte eine Wut in ihr auf, die reiner war als alles, was sie je empfunden hatte; sie ersetzte das Blut in ihren Adern durch Salz. »Rühr mich nicht an«, zischte sie. »Wag es nie wieder, mich anzufassen, Junior.«
»Es tut mir leid, Les. Es tut mir so leid«, flüsterte Ashlyn. Einen Moment lang sah es so aus, als liefen goldene Tränen ihre Wangen hinab, doch dann drehte sie sich weg und sagte: »Seth?«
»Ich hab sie.« Seth zog sie von Keenan weg und nahm sie schützend in die Arme. »Komm, Les.«
Keenan legte Seth eine Hand auf die Schulter. »Bring sie zu Niall.«
»Ich gehe nirgendwohin«, sagte Leslie zu der versammelten Gruppe. »Ich weiß nicht, was hier gespielt wird, aber ich …«
»Geh nach Hause. Da bist du sicherer als bei diesem Gesindel.« Irial sog wieder die Luft ein und Leslie glaubte Schatten sehen zu können, die über eine gewundene, tintenschwarze Weinranke zu ihm hinkrochen; die Ranke hatte Federn, wo eigentlich Blätter sein sollten, wuchs aus ihrer Haut und vibrierte zwischen ihnen in der Luft. Als die Schattenranke sich nicht mehr bewegte, fühlte auch sie sich plötzlich ruhig, friedlich, ausgeglichen.
Und sie wollte nicht länger bleiben.
Schweigend drehte sie sich um und ging.
Fünfundzwanzig
Irial beobachtete, wie Leslie mit dem sterblichen Freund der Sommerkönigin wegging. Was würde er ihr erzählen? Eigentlich war es inzwischen egal; sie gehörte jetzt ihm. Was immer sie sagten oder taten, konnte es nicht mehr rückgängig machen.
»Wenn jemand versucht, sie mir wegzunehmen, sich mir in den Weg zu stellen …«, er sah von Keenan zur Sommerkönigin, » Du verstehst mich, nicht wahr?«
Sie zögerte mit einer Antwort.
»Ashlyn?« Keenan nahm ihre Hand.
Sie reagierte auf keinen der beiden Elfen. »Leslie ist meine Freundin. Sie ist nicht einfach irgendeine Sterbliche; sie ist meine Freundin . Ich hätte gleich einschreiten sollen, als ich dich im Restaurant sah.«
»Das hätte nichts geändert. Da gehörte sie mir schon. Deshalb war ich ja dort.« Er streckte die Hand aus, als wollte er ihre Wange berühren, ließ sie dann aber lediglich über ihrem sonnenverwöhnten Gesicht schweben und flüsterte: »Was würdest du tun, um deinen Sterblichen zu beschützen, Ash? Deinen Seth?«
»Alles.«
»Eben. Also versuche erst gar nicht, mir Leslie wegzunehmen. Dein König hat dir doch sicher erzählt, wer seine Kräfte so lange gefesselt hat, oder?« Irial wartete auf eine Flut von Sorge, Wut und Verzweiflung, musste jedoch erstaunt feststellen, dass die Sommerkönigin ihre Gefühle gut im Griff hatte.
Die Sommerkönigin legte ihren Kopf schief, so dass sie plötzlich aussah wie Gabriels Töchter. »Ja, hat er.«
Dann trat sie einen Schritt vor. Keenan machte keine Anstalten, sie zurückzuhalten, sondern sah ihr vertrauensvoll und ruhig zu. Die Sommerkönigin ließ ein wenig Sonnenschein in ihre Stimme tröpfeln, als kleine Erinnerung daran, wer sie war und wozu sie fähig war. Sie stand so dicht vor Irial, dass die Wüstenhitze ihres Atems sein Gesicht versengte, als sie ihm zuraunte: »Droh mir nicht.«
Irial hob abwehrend die Hände. »Ich bin nicht derjenige, der Streit sucht. Ich kümmere mich nur um meine Angelegenheiten. Und sie ist jetzt meine Angelegenheit.« Ihm wurde ganz unbehaglich zumute, als er so über sie sprach, über seine Leslie, seine verletzliche Sterbliche. Schnell wechselte er das Thema. »Ich dachte nur, ich erweise dir meinen Respekt, wo ich schon mal in der Gegend bin … und schaue mal nach, wie es unserem Gancanagh so geht. In letzter Zeit vermisse ich ihn.«
Weder der Sommerkönig noch seine Königin zeigten eine Regung.
»Wenn ich an all die Jahre denke, die er bei euch vergeudet hat …« Irial schüttelte den Kopf. »Was, glaubt ihr, müsste passieren, damit
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