Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
hatten, ob sie wegen dem, was er Ani erzählt hatte, nun anders verknüpft wurden. Haben meine Entscheidungen die Dinge verändert, oder waren die Entscheidungen selbst bereits vorherbestimmt? Er konnte Sorcha nicht fragen, was sie gesehen hatte, bevor Anis Schicksal mit seinem verknüpft worden war, und auch nicht feststellen, ob Bananach die Möglichkeiten wahrheitsgemäß ausgelegt hatte. Sie klammerte sich selbst an den dünnsten Faden wie an eine vom Schicksal bestimmte Wahrheit. Ihre Wünsche vernebelten ihre Deutungen – eine verdrehte Form von Optimismus.
Die einzige unumstößliche Wahrheit war, dass Sorcha aufgehört hatte, Ani zu sehen, sobald ihr Leben mit seinem und ihrer beider Leben verknüpft worden war. Und in einem schrecklichen Moment der Klarheit begriff er: Sorcha hatte schon damals gewusst, dass Anis Faden mit seinem verwoben werden würde.
Diese offensichtliche Erkenntnis kam ihm so plötzlich, dass ihm fast schlecht davon wurde. Er hatte nicht den geringsten Zweifel, dass seine beiden Schwestern eifersüchtig oder grausam genug waren, sein Leben zu verändern, wenn es in ihrem Interesse lag. So waren sie. Sorcha gestaltete die Welt nach ihrem Willen um, Bananach manipulierte andere Elfen, um Zerstörung herbeizuführen. Vielleicht hatte Ani in ihrem Leben nie eine Rolle spielen sollen, sondern immer nur in seinem. War das die Art und Weise, wie ihr Blut Sorcha töten sollte? Indem er sich geweigert hatte, es zu vergießen? Weil er sie nicht getötet hatte? Solche Deutungen wären nicht untypisch für Bananach.
Aber ihr Blut ist tatsächlich anders. Ich habe davon gekostet. Sie ist anders.
»Alles in Ordnung?« Anis Stimme ließ ihn aus seinen Gedanken aufschrecken. »Du, ähm, verschließt wieder deine Gefühle vor mir.«
»Sag mir, was genau Bananach von dir will.«
»Dass ich Seth töte. Dass ich Niall töte. Und dass ich ihr mein Blut gebe, weil …« Ani holte tief Luft. »Wenn du das, was ich jetzt sage, irgendjemandem weitererzählst, wird Irial deinen Tod wollen. Du darfst es also nicht tun. Niemals!«
Er nickte.
»Irial ist überfürsorglich, aber … er …« Sie stockte und holte erneut tief Luft. »Kann ich dir vertrauen?«
Er zögerte. Diese Entscheidung wog unerwartet schwer. Devlin hatte noch nie bewusst jemandem den Vorrang vor seiner Königin gegeben.
Bis jetzt. Ich würde es tun. Für dich.
»Du kannst mir vertrauen«, versicherte Devlin ihr. Er überlegte, ihr von seinem Gespräch mit Irial zu erzählen, wollte aber lieber nicht erwähnen, dass Irial seine Zustimmung zu ihrer gemeinsamen Reise gegeben hatte. Dass dies alles mit Vorbedacht geschehen war, würde sie möglicherweise verstimmen, und das wäre der Sache nicht dienlich.
Außerdem würde es uns zu weiteren Themen führen, über die ich nicht sprechen will. Der ehemalige König der Dunkelelfen hatte offenbar genug von Devlins Emotionen gekostet, um zu wissen, dass er ernsthaft besorgt um Ani war, und um davon überzeugt zu sein, dass Ani bei ihm in guten Händen war. Devlin würde sie in Sicherheit bringen und dann eine Möglichkeit finden, sich aus ihrem Leben zurückzuziehen. Das war die logische Entscheidung, der angemessene Weg.
»Sag es mir«, forderte er Ani auf.
»Du weißt doch, dass ich mich von deinen Emotionen ernähren kann?« Sie hielt nur den Bruchteil einer Sekunde inne, bevor sie sagte: »Das ist eine Besonderheit des Hofs der Finsternis.«
»Ich weiß.«
»Ich kann dasselbe auch mit Sterblichen tun.« Sie trat aufs Gas, ob bewusst oder nicht. »Aber eigentlich dürfte ich weder das eine noch das andere können.«
Devlin hatte Mühe, seine eigenen Emotionen in Schach zu halten. Je mehr Ani ihm enthüllte, desto klarer wurde ihm, wie ungewöhnlich sie war. Wenn Sorcha mitbekommt, dass Ani noch lebt, wird sie sie verfolgen. Die Chance, dass Bananach es Sorcha erzählte, dass sie beiläufig fallen ließ, dass er bei Ani war, war groß. Die Kriegselfe liebte es zu sticheln. Das war ihre Art.
Keine meiner Schwestern wird eher ruhen, bis sie Ani besitzt oder aber zerstört hat.
Ani schaute nicht in seine Richtung und fuhr noch schneller. Es gab Dinge, die sie nicht sagte, Dinge, die ihr offenkundig Sorge bereiteten, weil sie sie eigentlich nicht erzählen durfte. Also wartete er.
Nach mehreren Minuten des Schweigens fuhr sie fort: »Du musst wissen, dass Hundselfen sich normalerweise nicht so ernähren. Uns geht es nicht um Emotionen. Wir wecken sie zwar, konsumieren sie aber
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