Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
liefen Tränen über die Wangen.
»Ich hatte keine Wahl. Sorcha kann jeden sehen außer denen, die ihr am nächsten stehen oder die für ihr Leben von Bedeutung sind«, begann er.
Ani konnte nichts sagen, nichts anderes tun, als ihn anzustarren und abzuwarten, was folgte.
»Ich musste Jillian verstecken, damit sie nicht Sorchas Aufmerksamkeit auf sich zog. Denn dafür war sie nicht wichtig genug … vor allem, wenn Jill sich nicht daran erinnerte, dass sie Kinder hatte.« Devlins Emotionen schlugen mehrere unterschiedliche Richtungen ein, doch sein Tonfall blieb unverändert. »Die Alternative war ihr Tod.«
»Rettest du viele Leute, deren Tod Sorcha befiehlt?«
Plötzlich waren seine Gefühle vollkommen abgeschirmt. »Nur dich.«
»Und Jillian.«
»Nein. Jillians Tod war nicht angeordnet, aber … ich wusste, dass Irial euch unter seine Fittiche nehmen würde, wenn sie verschwindet. Es war ihre Idee. Sie hätte alles getan, um dich und deine Schwester zu beschützen.«
Ani setzte sich auf. Sie erwog, ihn zu umarmen und ihm zu sagen, dass er ihr alles gegeben hatte, indem er Jillian nicht umgebracht hatte.
Oder mich.
Es verging fast eine Stunde, in der sie einfach nur schweigend nebeneinandersaßen, dann sah Ani ihn an. »Du bist doch eine traditionelle Elfe, oder, Devlin? Ich habe drei Fragen frei. Das ist doch die Spielregel, hab ich Recht?«
»Ja, schon, aber ich habe bereits …«
»Ich möchte eine dritte Frage stellen«, unterbrach sie ihn. »Und ich möchte, dass du mir versprichst, sie zu beantworten.«
Er sah nicht weg und sagte nicht, dass sie kein Recht dazu hätte. Stattdessen nickte er.
»Sag mir, wer du bist, Devlin. Du weißt alles über mich.« Sie nahm seine Hand. »Du hast jeden Schritt in meinem Leben mitverfolgt.«
Er erschrak. »Nein, das hab ich nicht . Ich habe mich von dir ferngehalten … Ich habe dich bis neulich Abend nur mal im Vorbeigehen gesehen. Ich würde dir niemals nachstellen. Das ist … ungebührlich.« Seine Miene heischte um Verständnis. Am Hof des Lichts ging es um Zurückhaltung, nicht um Sehnsucht; um Verstand, nicht um Gefühle. Und Ani begriff, dass Devlin jedes einzelne Merkmal seines Hofs verriet, um bei ihr zu sein, um sie zu retten, um sie zu verstecken. Was sie nicht wusste, war, warum er es tat.
»Du kennst mich, meine Geschichte, meine Familie, und ich muss dich kennen.« Sie ließ seine Hand nicht los, als wäre die Tatsache, dass sie ihn festhielt, das Einzige, was sie beide davor bewahrte, die Fassung zu verlieren. Dabei ging es nicht um ihren Hunger auf Berührung; es ging darum, dass die Dinge einen Sinn ergaben. Ihn festzuhalten ergab Sinn. »Sag mir, wer du bist. Es steckt doch noch mehr hinter dem, was hier gerade passiert.«
Seine ohnehin schon unbeständigen Gefühle wurden so intensiv, dass sie erneut erschauderte. Er sah verängstigt aus – und schmeckte auch so.
»In aller Ewigkeit habe ich stets im besten Interesse meiner Königin gehandelt … bis du kamst. Und jetzt erzählt die Kriegselfe mir, dass du der Schlüssel zum Tod meiner Königin bist. Ich sollte dich töten, Ani. Ich hätte dich damals töten sollen. Und ich sollte dich jetzt töten.«
»Ich bin froh, dass du es nicht getan hast.«
»Ja, ich auch«, gestand er, »aber wenn dein Überleben ihren Tod bedeutet … ich kann nicht alles opfern.«
»Ich weiß.« Ani wusste nicht, auf welche Weise sie sich ausdrücken sollte, damit sie es beide richtig verstehen würden. Das war nicht ihre Stärke. Sie kniete sich hin, damit sie auf Augenhöhe mit ihm war.
Er wich nicht zurück. Sein Herz raste nicht, doch sie hörte, wie es schneller schlug.
Wegen mir.
Ganz langsam, als sei er aus Glas, das sie zerbrechen könnte, beugte sie sich vor und berührte mit ihren Lippen ganz leicht die seinen. Es war nicht mal ein richtiger Kuss, eher wie das Vorbeiflattern eines Schmetterlings, doch es fühlte sich an wie die Sorte Küsse, bei denen die Welt stehenbleibt – was sie noch unfähiger machte, etwas zu sagen.
Was folgte auf diese Art Sätze? Oder Gefühle?
Ani machte sich auf den Rückweg zu ihrem Ross. »Lass uns gehen.«
»Wohin?« Er klang alarmiert. »Ich kann dich nicht zu Jill bringen. Sie ist im Elfen…«
»Ich weiß«, unterbrach sie. Was auch immer der Grund dafür gewesen war, dass die Königin des Lichts ihren Tod angeordnet hatte – er war wahrscheinlich nicht hinfällig geworden, und das Letzte, was sie wollte, war, dass Sorcha sie aktiv verfolgte.
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