Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
Doch dass ihre Mutter lebte, machte sie nicht weniger unerreichbar für sie, und das tat weh.
»Wie stehen denn die Chancen, dass ich überlebe? Ganz im Ernst?«
Devlin sah sie finster an. »Um Prozentzahlen solltest du dir jetzt keine Gedanken machen. Bananach wird wahrscheinlich nicht aufhören, an dich zu denken. Und die statistisch wahrscheinlichen Ergebnisse sind …«
Sie hob die Hand. »Okay. Also nicht gut.«
Sie gingen schweigend weiter, bis sie zur Straße zurückkamen.
»Zelten«, verkündete sie dann. »Rabbit ist früher mit uns zelten gegangen, aber immer mit einer ganzen Reihe von Wächtern und nur für ein paar Tage.«
»Du bist ein seltsames Wesen, Ani.« Devlin wollte seine Hand losmachen, doch sie hielt ihn fest. Nur noch ein kleines bisschen . Sie war sich ziemlich sicher, dass sie diese Seite von Devlin nur sehr selten zu sehen bekommen würde.
Sie ging zur Beifahrertür. »Ich möchte im Wald bleiben.«
»Städte sind wahrscheinlich ungefährlicher.«
Sie ließ widerstrebend seine Hand los. »Das ist doch voraussehbar, oder nicht? Bananach geht bestimmt davon aus, dass du das Vernünftige, Berechenbare tust, weil du vom Lichthof bist. Also lass uns das Unberechenbare tun.«
Devlin stockte. »Und wenn ich trotzdem darauf bestehe, dass Städte die bessere Alternative sind? Läufst du mir dann weg?«
»Nein.« Sie küsste ihn auf die Wange. »Du hast meine Mutter und mich gerettet. Du bist todbringend genug, um mich zu beschützen. Und auch wenn du es nicht zugeben willst oder nicht weißt warum, bist du in verschiedener Hinsicht an mir interessiert. Ich gehöre nicht zum Hof des Lichts, aber ich bin praktisch genug veranlagt, um die Gründe zu kennen, die dafür sprechen, dass wir zusammenbleiben. Ich denke mal, ich behalte dich vorläufig bei mir.«
»Du behältst mich bei dir? « Er bedachte sie mit einem Blick, der, wie sie vermutete, einschüchternd sein sollte, aber eine Elfe, die mit der Meute und mit dem König der Albträume als Spielkameraden aufgewachsen war, ließ sich nicht so leicht beeindrucken.
»Vorläufig.« Sie unterdrückte ein Grinsen, da sie den Hauch von Arroganz in seiner Stimme bemerkt hatte. »Du bist nicht annähernd so langweilig, wie du zu sein vorgibst, und gemessen an meiner Herkunft ist das ein großes Kompliment.«
»Allerdings.« Er legte seine Hand an die Beifahrertür des Wagens, bei dem es sich aktuell um einen angeberischen roten Lexus handelte.
Ani ging um das Auto herum zur Fahrertür und schaute über das Dach hinweg zu ihm. Ein Teil ihres nicht gerade häufig zum Einsatz kommenden Gewissens ermahnte sie Abstand zu ihm zu halten. Aber ausnahmsweise bestimmte mal nicht nur der Hunger ihr Interesse. Sie mochte Devlin.
Einundzwanzig
Devlin machte sich Vorwürfe, während sie weiter über die Schnellstraße dahinrasten. Er kam Ani allmählich zu nahe. Er existierte schon seit einer Ewigkeit, doch ihr Leben dauerte kaum länger als ein Wimpernschlag. Sie war ein Hund, der anders war als alle anderen, eine Elfe, die anders war als alle, die er je gekannt hatte.
Und sie ist verletzlich.
Und eigentlich sollte sie nicht einmal mehr am Leben sein.
Und sollte ich sie verlieren, wäre das mein Ende.
Er glaubte nicht an ein unausweichliches Schicksal. Er hatte seine Schwestern häufig genug dabei beobachtet, wie sie verschiedene Szenarien durchgegangen waren, um zu wissen, dass nur wenige Dinge in der Welt gewiss waren. Er hatte selbst solche Fadenketten gesehen, hatte ihre Instabilität erkennen können und über ihre Vergänglichkeit gestaunt. Wo Bananach vor allem die Fäden sah, die der Zwietracht förderlich sein konnten, entdeckte Sorcha die, die Ordnung voranbrachten. Devlin sah häufig beides. Doch als er Ani anschaute, wurde ihm klar, dass er nichts sah. Sie war eine leere Leinwand für ihn.
Irgendein Bruchteil einer Erinnerung an Anis Leben nagte an ihm, aber er bekam ihn nicht zu fassen. Rae . Sie wusste etwas. Daran erinnerte er sich. Aber was ist der Rest? In seinem Kopf pulsierte es, während er sich das Hirn zermarterte. Warum wurde ich ausgesandt, um Ani zu töten? Wenn die Bedrohung Sorcha galt, hätte er Ani bereitwillig umgebracht. Doch trotz aller Andeutungen, die Bananach ihm gegenüber gemacht hatte, glaubte Devlin nicht, dass Ani Bananach helfen würde. Ani würde weder dem Krieg ihr Blut geben noch Sorcha töten.
Weil sie nicht so grausam ist.
Devlin fragte sich, ob die Fäden sich aufgrund seiner Handlungsweise verändert
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