Sommerlicht Bd. 5 Aus dunkler Gnade
ihm Bedauern darüber. »Ich bin Sorchas Erbe. Ich bin die einzige Elfe in der Welt der Sterblichen, die dich ausbalancieren kann. Ich bin die Ordnung zu deiner Finsternis.«
»Und das macht dich zu was? Dem König der Ordnung?« Niall betrachtete ihn mit einer Mischung aus Stolz und Trauer.
»Nein, ich bin überhaupt kein König. Ich fürchte, ich werde im Elfenreich von höfischen Strukturen und Pomp mehr als genug bekommen.« Bei der Vorstellung, ein König sein zu wollen, verdrehte Seth die Augen. »Aber ich bin trotzdem dein Gegengewicht.«
Niall lächelte.
»Es wäre doch nicht das Schlechteste, wenn die ungebundenen Elfen jemanden zum Reden hätten, wann immer einer von euch mal wieder völlig durchdreht«, fuhr Seth fort. »Meine beiden Brüder sind die Herrscher des Hofs der Finsternis und des Schattenhofs. Meine Mutter ist die Königin des Lichts. Meine …« – Seth warf einen Blick auf Ashlyn und Tavish, die ein paar Schritte entfernt miteinander sprachen – »… Ash ist die Sommerkönigin. Ich kann in die Zukunft sehen; ich kann zwischen den beiden Welten hin- und hergehen; und ich kann mit Elfen, die ich liebe, den Elfen, die zu meiner Familie gehören, und den Elfen, die meine Freunde sind, vernünftig reden.«
Niall setzte eine äußerst undurchdringliche Miene auf. »Glaubst du, dass du ihr gewachsen bist? Dass es da keinen Interessenkonflikt …«
»Du teilst dein Haus mit der Zwietracht «, erinnerte Seth ihn. »Und ich gehe jede Wette ein, dass er seine Lieblinge bevorzugen wird.«
Der betreffende Elf ging gerade an Seth vorbei. »Nun ja, Seher, ein Glück, dass du dich von deinem Wissen über die Zukunft nicht dazu verleiten lässt, deine Lieblinge zu bevorzugen, Menschen zu opfern oder dich auf Spielchen mit den Höfen einzulassen …« Irial blieb stehen und zog ein Päckchen Zigaretten und ein Feuerzeug aus Nialls Tasche. Er nahm eine Zigarette heraus und fügte mit einem Blick auf Seth hinzu: »Oder zum Beispiel mich für deine Ziele sterben zu lassen.«
Schweigend nahm Niall Irial die Zigarette aus der Hand, zündete sie an und zog daran.
Seth zuckte mit den Schultern. »Woher willst du wissen, dass ich das Ergebnis nicht vorhergesehen habe? Ihr habt keine süchtig machende Wirkung auf Sterbliche. Keiner von euch. Ihr steht wieder auf verschiedenen Seiten, so wie ihr es am liebsten habt. Bananach ist tot. Leslie wartet in eurem Haus – und ihr hofft alle drei, dass sie da irgendwann auch bleiben wird.«
Angesichts ihrer verblüfften Gesichter hielt Seth inne. »Natürlich gab es noch andere Varianten, die für euch erheblich weniger gut gewesen wären, aber … eine Menge hat sich geklärt, weil du gestorben bist.«
»Vielleicht bist du gar nicht so schlecht im Ausbalancieren, mein Junge.« Irial schüttelte den Kopf und wandte sich dann an Niall. »Im Haus wartet unser Schattenmädchen.«
»Leslie wartet in unserem Zuhause «, berichtigte Niall.
Und die Zwietracht lächelte.
Auch Seth musste lächeln, als er ihnen nachblickte. Die Fäden dieser beiden Elfen waren eng miteinander verwoben, und in einer von vielen möglichen Varianten der Zukunft sah er Leslies Faden, der weder ganz zur sterblichen Welt gehörte noch ganz zum Elfenreich, eng mit denen der beiden verflochten. Sie war noch lange nicht so weit, am Hof der Finsternis zu leben, doch gab es für sie eine ganze Menge möglicher Zukunftsfäden, wie sie mit den beiden Elfen, die sowohl sie als auch einander liebten, glücklich werden konnte.
Beim Anblick ihrer miteinander verwobenen Zukunftsfäden verspürte Seth einen Stich von Neid. Er wusste nicht, was seine Zukunft brachte – ob er Ashlyn verlieren würde, ob er eine Ewigkeit damit verbringen musste, ihre Beziehung mit einem anderen Elfen zu verkraften –, aber ihm war klar, dass er auf Grund seiner Ängste im Hinblick auf Ashlyn viel Zeit verschwendet hatte.
Damit ist jetzt Schluss.
Er ging zu ihr und nahm ihre Hand mit einer Vertrautheit, die er seit Monaten nicht mehr verspürt hatte. In ihrer Haut flackerte Sonnenlicht auf. Vielleicht war sie nicht für immer die Seine, aber nach allem, was gerade passiert war, war sie sein für diese Nacht. Egal, ob er bleiben oder wieder weggehen würde – diese Nacht würde er in ihren Armen verbringen.
Vierzig
Nachdem sie die Spuren des Kampfes von ihm und sich selbst abgewaschen hatte, legte die Winterkönigin Keenan vorsichtig in das gemeinsame Bett. Sie hatte getan, was sie konnte, um ihn zu
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