Sommerlicht Bd. 5 Aus dunkler Gnade
ignorieren konnte; hier wusste er, dass er die Sicherheit hinter sich ließ und der Gefahr entgegenging. Er konnte sterben. Sei’s drum. Angst war nicht stärker als Liebe.
Versuch, nicht zu sterben.
Seth lächelte und sagte: »Das ist das Ziel, Bruder.«
Dann machte er sich auf den Weg zu Ashlyn.
Acht
Ashlyn lief im Arbeitszimmer auf und ab. Früher hatte sie sich in diesem Raum nie wohlgefühlt, aber dann war er zu einem Ort der Entspannung für sie und ihren König geworden. Und jetzt … gehörte er ihr allein. Durch Keenans Abwesenheit fühlte sie sich irgendwie als Eigentümerin vieler Dinge, die eigentlich ihm gehörten. Und vieler Leute. Sie hatte sich ihrem Hof auch vorher schon eng verbunden gefühlt, doch seine jüngsten Entscheidungen weckten in ihr einen ans Mütterliche grenzenden Beschützerinstinkt.
Sie schaute auf, als sich die Tür öffnete und eine der wenigen Elfen hereinkam, denen sie noch rückhaltlos vertraute. Tavish war ein hervorragender Berater. Während Quinn aufdringlich war und manchmal regelrecht streitlustig wirkte, war Tavish beständig und zuverlässig. In der Anfangszeit hatte er ihr geholfen herauszufinden, welche Eigenschaften zu einer Sommerkönigin gehörten. Er hatte sie daran erinnert, dass der Sommer sowohl verspielt als auch grausam war, ihr beigebracht, ihre neue Flatterhaftigkeit als ein Mittel zu begreifen, das sie zu ihren Gunsten einsetzen konnte, und darauf hingewirkt, dass sie ihr Selbstmitleid aufgab und sich der Leidenschaft überließ. Tavishs meisterliche Beratungskünste waren nicht überraschend, wenn sie bedachte, dass er damals, als Keenan noch in seine Aufgabe als Sommerkönig hatte hineinwachsen müssen, die führende Kraft gewesen war. Zusammen mit Niall hatte er dem Sommerkönig das Regieren beigebracht – und zwar, als Keenan in ihrem Alter gewesen war. Einen zweiten Regenten auszubilden, fiel ihm also nicht schwer.
Tavish reichte ihr ein Glas mit etwas, das er als »gesunden Vitamindrink« zu bezeichnen pflegte, ihrer Meinung nach musste es jedoch aus Gemüse und Moos oder ähnlich Unangenehmem bestehen. »Trink.«
Sie winkte ab. »Mir geht es gut.«
»Meine Königin?«
»Ich hab keinen D…« Da sie die Lüge nicht aussprechen konnte, seufzte sie und murmelte: »Das schmeckt eklig.«
»Das fand Keenan auch immer.« Tavish hielt ihr unbeirrt weiter das Glas hin.
»Na gut.« Sie nahm es und nippte daran. Nachdem sie sich überwunden hatte zu schlucken, stellte sie das Glas auf dem Couchtisch ab. »Es gibt einfach Dinge, die in Getränken nichts verloren haben, Tavish.«
»Der Winter ist nicht gut für Sommerregenten. Und der Stress, den du zu verbergen suchst, bekommt dir auch nicht.« Er nahm das Glas wieder in die Hand. »Trink.«
Sie schluckte den Rest des widerlichen Gebräus. »Versprich mir, dass du mir etwas geben wirst, was besser schmeckt, wenn du mich je vergiften willst.«
»Ich werde dich niemals vergiften, meine Königin.« Tavish sank in einer Geste, die selbst für eine Elfe ungewöhnlich graziös war, auf die Knie und blickte zu ihr hoch. Trotz der eher kuriosen Situation wurde Ashlyn plötzlich so förmlich zu Mute, als thronte sie vor ihrem Hof auf einem Podium.
Einen Moment lang schaute Ashlyn ihn einfach nur an. »Ich habe es nicht so gemeint.«
»Du bist meine Königin. Neun Jahrhunderte habe ich damit verbracht, die Sterbliche zu finden, die diesen Hof befreit und den Sohn meines besten Freundes sowie das Leben der anderen Mädchen rettet. Eher würde ich sterben, als zuzulassen, dass dir etwas zustößt.« Er senkte sein Haupt.
»Ich habe nicht … Ich weiß doch, dass du nur versuchst, auf mich aufzupassen, Tavish.« Sie berührte ihn an der Schulter. »Ich vertraue dir. Das weißt du, oder? Ich meine, ich bin in alldem hier nicht gut, aber du weißt doch, dass ich dir vertraue?«
»Ja.« Er hob den Blick. »Aber meine Worte sind trotzdem wahr. Du bist unsere Königin, Ashlyn. Du bist eine gute Königin, und das ist weiß Gott keine leichte Aufgabe, wenn man ohne Vorwarnung ins kalte Wasser geworfen wird. Noch dazu mit der Voreingenommenheit, die du gegenüber Elfen hattest. Du hast es dennoch gewagt. Du hast dich mit Leib und Seele deinem Hof verschrieben, hast Bananach bei ihrem ersten Besuch Paroli geboten und bist sowohl dem Winterhof als auch dem Hof der Finsternis entgegengetreten. Du hast den Manipulationen des Königs standgehalten und seine Abwesenheit gemeistert. Du bist genau, was wir brauchen,
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